Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band II.3. Das Staatsrecht des Königreichs Preußen. (23)

294 Fünftes Buch: Die Gemeinden und die Kommunalverbände. 8 74. 
in dem sie in die Erscheinung tritt, wird die Selbstverwaltung gegenübergestellt. Der Ausdruck 
„Selbstverwaltung“ ist aber ein mehrdeutiger. Man versteht einmal darunter die Einrichtung, 
daß öffentliche Aemter und Funktionen nicht durch Berufsbeamte, sondern durch Personen im 
Ehrenamte versehen werden (Geschworene, Schöffen, unbesoldete Gemeindebeamten u. s. w.). 
Ferner wird als Selbstverwaltung die möglichst weitgehende Unabhängigkeit und Selbstständig- 
keit der Gemeinden bei Besorgung ihrer eigenen, namentlich ihrer wirthschaftlichen Angelegenhei- 
ten bezeichnet. Endlich spricht man von Selbstverwaltung, wenn öffentliche, an und für sich in den 
Wirkungskreis des Staates fallende Angelegenheiten durch öffentliche Korporationen, insbe- 
sondere Gemeinden und Kommunalverbände (sog. Selbstverwaltungskörper) besorgt werden. 
Wird von Selbstverwaltung im Gegensatz zur Staatsverwaltung gesprochen, so wird 
unter „Selbstverwaltung“ in der Regel die letztere Art der Selbstverwaltung verstanden. Es 
liegt aber in der Natur der Sache, daß wenn öffentliche Korporationen öffentliche Angelegen- 
heiten an Stelle des Staates verwalten, in großem Umfange öffentliche Funktionen und Aemter 
durch Korporationsangehörige im Ehrenamte besorgt werden, und daß der Staat den Korpo- 
rationen, denen er die Verwaltung öffentlicher Angelegenheiten anvertraut, auch möglichste 
Freiheit und Selbstständigkeit bei Verwaltung ihrer wirthschaftlichen Interessen gewährt. 
Die Heranziehung der sog. Selbstverwaltungskörper zur Besorgung öffentlicher Ange- 
legenheiten beruht auf dem Gedanken, daß der Staat zwar diejenigen öffentlichen Interessen 
wahrnehmen muß, die eine Decentralisation nicht zulassen, wie z. B. die auswärtigen Ange- 
legenheiten, das Heerwesen u. s. w., daß dagegen für ihn kein Anlaß besteht, alle öffentlichen 
Angelegenheiten, also auch diejenigen, die ihrer Natur nach einen lokalen oder auf gewisse wirth- 
schaftliche und soziale Gruppen beschränkten Charakter haben oder doch eine solche Beschränkung 
zulassen, durch seine eigenen Behörden zu besorgen. Im Gegentheil entspricht es dem organischen 
Aufbau des Staates, daß er den Gemeinden, Kommunalverbänden und sonstigen sog. Selbst- 
verwaltungskörpern (Genossenschaften, Korporationen, Stiftungen u. s. w.) ihre Selbstständig- 
keit in Verfolgung ihrer besonderen Zwecke möglichst läßt und ihnen außerdem noch die Be- 
sorgung staatlicher Angelegenheiten überträgt, soweit dies mit der Natur dieser Angelegen- 
heiten verträglich ist. Namentlich trifft dies zu auf dem Gebiete der inneren Verwaltung, da 
die Förderung der wirthschaftlichen und geistigen Wohlfahrt der Staatsangehörigen Individu- 
alisirung und Lokalisirung nicht bloß zuläßt, sondern auch verlangt. Dadurch, daß den Ge- 
meinden u. s. w. die Besorgung staatlicher Angelegenheiten übertragen, bezw. überlassen wird, 
werden sie nicht einfach in staatliche Behörden verwandelt, sondern sie behalten ihre Selbst- 
ständigkeit, unterliegen aber in ihrer gesammten Thätigkeit der Oberaufsicht staatlicher Be- 
hörden, die darüber zu wachen haben, daß sie die ihnen gesetzten rechtlichen Schranken nicht 
überschreiten und keine Thätigkeit entfalten, welche die Einheitlichkeit der Verwaltung stören 
oder das Interesse des Staates schädigen könnte. 
Zu den sog. Selbstverwaltungskörpern gehören nicht bloß die Gemeinden und Kommunal-= 
verbände, sondern auch die öffentlichen Korporationen, Genossenschaften, Stiftungen u. s. w.; 
jedoch sind die Gemeinden und Kommunalverbände weitaus die wichtigsten Selbstverwaltungs- 
körper schon aus dem Grunde, weil dieselben den umfassendsten aus der örtlichen Vereinigung 
sich von selbst ergebenden Wirkungskreis haben, während die Korporationen u. s. w. nur be- 
sondere Zwecke verfolgen. Hier ist nur von den Gemeinden und Kommunalverbänden die Rede, 
während andere Selbstverwaltungskörper, wie z. B. Wassergenossenschaften, Innungen, Be- 
rufsgenossenschaften, Krankenkassen, Stiftungen u. s. w. bei Besprechung der betreffenden Ver- 
waltungsgebiete zu berücksichtigen sein werden. 
Die Selbstverwaltungskörper besorgen „ihre Angelegenheiten“ selbstständig durch ihre 
eigenen Organe, sie unterliegen aber dabei der Aufsicht des Staates, welche darauf gerichtet ist, 
a) daß die Verwaltung gesetzmäßig geführt wird und insbesondere die Beschlüsse der Organe 
der Selbstverwaltungskörper die ihnen nach Maßgabe der Gesetze zustehende Zuständigkeit
	        
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