326 Fünftes Buch: Die Gemeinden und die Kommunalverbände. I. Kapitel. § 79.
§ 22 Kr. O. 39 vormals nassauischen, großherzoglich hessischen und hessen-homburgischen Ge-
meinden der Charakter der Städte beigelegt wurde.
Die Bildung neuer Gemeinden gegen den Willen der Betheiligten und die Auflösung
von Gemeindebezirken kann nur durch Gesetz erfolgen; sonstige Neubildungen von Gemeinden
erfolgen, wenn es sich um Städte handelt, durch Beschluß des Bezirksausschusses, wenn um
Landgemeinden durch den Regierungspräsidenten, bloße Bezirksveränderungen durch den Be-
zirksausschuß, bzw. Kreisausschuß (§ 1 Gem.G.; V. v. 24/7. 1854 § 9; Z. G. 8§ 8, 25).
Die Gemeindeeinwohner bestehen aus Bürgern und Nichtbürgern; zu letzteren gehören
neben den Standesherren alle aktiven Hof-, Militär-, Civil-, höhere standesherrliche Diener
und Geistliche, welche alle an den Gemeindenutzungen, Wahlen und -Versammlungen nicht Theil
nehmen und von allen Gemeindediensten, die nicht mit festem Gehalt angestellten auch von den
direkten Gemeindesteuern frei sind. Das Bürgerrecht wird erworben durch Abstammung von
Eltern, die dasselbe besitzen — vorausgesetzt, daß gewisse Voraussetzungen vom Erwerber erfüllt
werden — und durch Aufnahme durch den Gemeinderath. Das Bürgerrecht, das auch allein
zur Theilnahme an den Gemeindenutzungen berechtigt, ruht während ein Bürger auswärts
wohnt und geht verloren durch Entlassung aus dem bisherigen und Aufnahme in einen andern
Gemeindeverband sowie Erwerb einer andern Staatsangehörigkeit (§§ 69—89, 45 Gem.G.).
II. Die Organe der Gemeindeverwaltung sind die Gemeindeversammlung bzw.
der Bürgerausschuß, der Gemeinderath, der Bürgermeister und die Gemeindebediensteten.
1. Die Gemeindeversammlung besteht aus allen Bürgern und ist bei Anwesenheit von
derselben beschlußfähig. Sie beschließt in einer Anzahl von Angelegenheiten, namentlich
über Immobiliarveräußerungen, sowie Erwerb von Immobilien über einen bestimmten Werth,
Verwendungen der Grundstockvermögens zu laufenden Bedürfnissen, Kapitalsaufnahmen u. s. w.
An Stelle der Gemeindeversammlung tritt in allen Städten und in den Landgemeinden mit
mehr als 1500 Einwohnern ein Bürgerausschuß; in kleineren Landgemeinden kann dies
auf Antrag der Gemeinde mit Zustimmung des Kreisausschusses geschehen. Der Bürgeraus-
schuß besteht aus sechs Mal sovielen Mitgliedern wie der Gemeinderath; er wird auf 3 Jahre
gewählt, jährlich scheidet ein Drittel aus. Den Vorsitz führt der Bürgermeister, der Gemeinde-
rath muß den Sitzungen beiwohnen; seine Mitglieder können auch dem Ausschuß angehören.
Für die Wahlen zum Bürgerausschuß wie zu allen Gemeindeämtern sind wahlberechtigt und
wählbar alle „unbescholtenen“ Gemeindebürger, mit Ausnahme der unter Kuratel stehenden,
der Kridare und solcher, die ständige Unterstützung aus öffentlichen Armenkassen beziehen, oder
in den letzten zwölf Monaten bezogen haben. Die Wahl erfolgt nach dem Dreiklassensystem,
dem die in der Gemeinde gezahlten direkten Staatssteuern zu Grunde gelegt werden; es ent-
scheidet relative Stimmenmehrheit der Abstimmenden (§§ 24—29 Gemeinde-G.; Wahl-O.
§§ 1—16). 2. Der Gemeinderath besteht aus dem Bürgermeister und je nach der Ein-
wohnerzahl aus 3—12 unbesoldeten Gemeindevorstehern, welche in derselben Weise und für
dieselben Wahlperioden wie die Mitglieder des Bürgerausschusses gewählt werden, jedoch mit
absoluter Mehrheit von mindestens / der Wahlberechtigten, ausgeschlossen von der Wählbar-
keit sind besoldete Gemeindediener (§§ 5, 7, 12 d. Wahl-O.). 3. Der Bürgermeister wird
gewählt und bedarf der Bestätigung der Aufsichtsbehörde; die Wahlperiode beträgt in Gemein-
den von weniger als 1500 Einwohnern sechs, von 1500 und mehr Einwohnern zwölf Jahre.
Die Wahl erfolgt durch ein Wahlkollegium, das aus den Gemeindevorstehern und der drei-
fachen Anzahl von durch die Gemeinde nach relativer Mehrheit gewählten Wahlmännern be-
steht, in derselben Weise wie die Wahl der Gemeindevorsteher. Bei wiederholter Nichtbestätig-
ung kann die Aufsichtsbehörde kommissarische Verwaltung anordnen. Das Amt ist ein Ehren-
amt, doch erhält der Bürgermeister eine Vergütung für Auslagen und Zeitversäumniß und ein
Aversum für Schreibmaterialien. Zur Vertretung und Unterstützung der Bürgermeisters kann
mit Genehmigung des Regierungspräsidenten bezw. Landraths ein Beigeordneter angestellt