398 Sechstes Buch: Die Landesverwaltung. I. Kapitel. § 92.
Versammlungen beziehen sich jedoch diese Bestimmungen, sowie die des § 1 nicht, wenn diese
Vereine Korporationrecht haben (8 2).
2. Vereine, welche bezwecken, politische Gegenstände in Versammlungen zu erörtern —
jedoch mit Ausnahme der Wahlvereine ) — dürfen a) keine Frauenspersonen, Schüler und
Lehrlinge als Mitglieder aufnehmen; b) nicht mit anderen Vereinen gleicher Art zu gemein-
samen Zwecken in Verbindung treten, insbesondere nicht durch Komitees, Ausschüsse, Central=
organe oder ähnliche Einrichtungen oder durch gegenseitige Schriftenwechsel. Uebertretungen
dieser Vorschriften sind strafbar; auch kann die Ortspolizeibehörde den Verein, vorbehaltlich
des gegen die Betheiligten einzuleitenden Strafverfahrens, bis zur ergehenden richterlichen
Entscheidung schließen. Frauenspersonen, Schüler und Lehrlinge dürfen den Versammlungen
und Sitzungen solcher politischer Vereine nicht beiwohnen und sind eventuell auf Erfordern der
Obrigkeit aus denselben zu entfernen, widrigenfalls ein Grund zur Auflösung des Vereines ge-
geben ist (§8 8, 16, 21).
3. Hat die Polizeibehörde einen Verein vorläufig geschlossen, so muß sie binnen 48
Stunden nach der Schließung davon, sowie von den Gesetzwidrigkeiten, die die Schließung
veranlaßt haben, der Staatsanwaltschaft Anzeige machen. Findet letztere die angeblichen Gesetz-
widrigkeiten, welche zur Schließung Anlaß gegeben haben, zur Begründung der Anklage nicht
geeignet, so hat die Ortspolizeibehörde auf die ihr durch die Staatsanwaltschaft binnen weiteren
acht Tagen zu ertheilende Nachricht die Schließung des Vereines aufzuheben. Anderenfalls
muß die Staatsanwaltschaft ebenfalls binnen acht Tagen die öffentliche Klage erheben. Als-
dann faßt das Gericht sofort darüber Beschluß, ob die vorläufige Schließung des Vereines bis
zum Erkenntnisse in der Hauptsache fortdauern soll (§ 16). Die Schließung eines Vereines
durch die Polizeibehörde ist daher immer nur eine vorläufige Maßregel, die auch im Verwalt-
ungsstreitverfahren nicht angefochten werden kann, da die Schließung nur vorbehaltlich des
ordentlichen Rechtsweges erfolgt. Dagegen ist eine einfache Beschwerde an die Aufsichtsbehörde
zulässig, da die die Schließung aussprechende Verfügung sowohl von der anordnenden Behörde
selbst, wie auch von der Aufsichtsinstanz jeder Zeit wieder aufgehoben werden kann.
Nach den vorstehend dargelegten Vorschriften des G. v. 11/3. 1850 besteht der Rechts-
schutz auf dem Gebiete des Vereins= und Versammlungsrechts im Wesentlichen darin, daß jede
Uebertretung der gesetzlichen Vorschriften durch die Unterthanen mit Strafe bedroht ist und
demgemäß der ordentliche Strafrichter im Strafprozesse über die Gesetzesauslegung zu ent-
scheiden hat. Daneben aber ist, abgesehen von der vorläufigen Schließung eines Vereines noch
das gewöhnliche Beschwerde= und Verwaltungsstreitverfahren zulässig, da es sich bei diesen
Maßregeln lediglich um gewöhnliche polizeiliche Verfügungen handelt.
§ 92. Das Preßpolizeirecht 9). I. Das Preßpolizeirecht ist gegenwärtig einheitlich
für das deutsche Reich geregelt durch das auf Grund des Art. 416 R.V. erlassene R.G.
über die Presse v. 7/(5. 1874 (R.G. Bl. S. 75). Daneben kommen für das Preßgewerbe ein-
2) Wahlvereine sind solche Vereine, welche lediglich in Beziehung auf bestimmte anstehende
Wahlen thätig sind; solche Vereine unterliegen nach § 21.Abs. a. E. den Beschränkungen des § 8 nicht.
Daraus folgt bei wörtlicher Auslegung, daß Frauenspersonen, Schüler und Lehrlinge Mitglieder von
Wahlvereinen sein können, obwohl die Wahlvereine nach § 8 zweifellos politische Vereine sind. Daß
dieses Ergebniß der wörtlichen Auslegung ein ungereimtes ist, liegt auf der Hand. Man wird daher
wohl die betreffende Vorschrift dahin auslegen dürfen, daß der Gesetzgeber die Wahlvereine nur dem in
8 8 enthaltenen Affiliationsverbote nicht unterwerfen wollte, daß aber das Verbot der Betheiligung
von Frauenspersonen u. s. w. auch auf Wahlvereine Platz greift.
3) Rönne, das Staatsrecht der preuß. Monarchie, 4. Aufl., II, S. 131 ff. — Schulze, das
preuß. Staatsrecht, 2. Aufl., I. S. 383 ff. — Bornhak, Preuß. Staatsrecht, III. S. 170 ff. —
Jolly, Art. Preßgewerbe und Preßpolizei in Stengel's Wörterbuch des deutschen Verw.-
Rechts, II, S. 300 und 301. — Grotefend, Preuß. Verw.-Recht, II, S. 769 ff.