8 93. Außerordentliche sicherheitspolizeiliche Maßregeln. 403
Art. 68 R.V. dem Kaiser zu und zwar ausschließlich dem Kaiser 1), nicht den Festungskomman-
danten und kommandirenden Generalen, wie dies nach dem G. v. 4/6. 1851 bestimmt war.
Die Verkündigung geschieht durch kaiserliche Verordnung, die im Reichsgesetzblatt zu
verkündigen ist und in den davon betroffenen Landestheilen und zwar in jeder einzelnen Ge-
meinde bekannt zu machen ist. Es hat dies ohne Verzug zu geschehen bei Trommelschlag und
Trompetenschall und außerdem durch Mittheilung an die Gemeindebehörden, durch Anschlag
an öffentlichen Plätzen und durch öffentliche Blätter.
Der Belagerungszustand kann nach §§ 1 u. 2 G. v. 4/6. 1851 nur erklärt werden:
1. für den Fall eines Krieges in den vom Feinde bedrohten oder theilweise schon besetzten
Provinzen; 2. für den Fall eines Aufruhrs in Kriegs= und Friedenszeiten, bei dringender Ge-
fahr für die öffentliche Sicherheit. Darüber, ob diese Voraussetzungen gegeben sind, entscheidet
der Kaiser nach freiem Ermessen.
Die Wirkungen des Belagerungszustandes sind folgende: 1.,Mit der Bekanntmachung
der Erklärung des Belagerungszustandes geht die vollziehende Gewalt an die Militärbefehls-
haber über. Die Civilverwaltungs= und Gemeindebehörden haben den Anordnungen und Auf-
trägen der Militärbefehlshaber Folge zu leisten. Für ihre Anordnungen sind die betreffenden
Militärbefehlshaber persönlich verantwortlich“ (C 4). 2. Die im R. Str. G. B. 88 81, 88, 90,
307, 311, 312, 315, 322—24 genannten Verbrechen sind, wenn im Bereiche des Belagerungs-
zustandes begangen, mit dem Tode zu bestrafen, falls ohne Verhängung des Belagerungszu-
standes auf lebenslängliches Zuchthaus zu erkennen gewesen wäre (E.G. zum R. Str.G. B. v.
31/5. 1870 § 4, an Stelle des § 8 des G. v. 1851 getreten). Für gewisse Handlungen, welche
8§ 9d. G. nennt, tritt ferner, wenn die Gesetze keine höhere Freiheitsstrafe bestimmen, Ge-
fängnißstrafe bis zu 1 Jahr ein. 3. Die Militärpersonen stehen während des Belagerungszu-
standes unter den Gesetzen, welche für den Kriegszustand ertheilt sind (R.M. Str. G. B. 89
Ziff. 2, 3). Der Befehlshaber der Besatzung hat über dieselbe die höhere Militärgerichtsbarkeit
(§§ 6, 7). 4. Es können die Vorschriften im Buch I Abschn. 8, 9 der R. Str. Pr. O., im Reichs-
paß-G. v. 7/6. 1874, dann die landesgesetzlichen Vorschriften über das Versammlungs= und
Vereinsrecht und über das Einschreiten der bewaffneten Macht suspendirt werden. Wird eine
solche Suspension für erforderlich erachtet, „so müssen die Bestimmungen darüber ausdrücklich
in die Bekanntmachung über die Erklärung des Belagerungszustandes aufgenommen oder in
einer besonderen unter der nämlichen Form bekannt zu machenden Verordnung verkündet werden“
(§ 5). 5. In gleicher Weise kann zur Anordnung von Kriegsgerichten geschritten werden. Vor
diese gehört die Untersuchung und Aburtheilung der Verbrechen des Hoch= und Landesverrathes,
des Mordes, des Aufruhrs, der thätlichen Widersetzung, der Zerstörung von Eisenbahnen und
Telegraphen, der Gefangenenbefreiung, der Meuterei, des Raubes, der Plünderung, der Er-
pressung, der Verleitung der Soldaten zur Untreue und der oben unter Ziff. 2 mitgenannten
Verbrechen und Vergehen, falls diese Handlungen nach Erklärung und Bekanntmachung des
Belagerungszustandes begangen oder fortgesetzte Verbrechen sind (§ 10 Abf. 1).
Die Kriegsgerichte bestehen aus fünf Mitgliedern, zwei Richtern, die der Gerichtsvorstand
des Ortes bezeichnet, und drei Offizieren, wenn thunlich mindestens von Hauptmannsrang, die
der Militärbefehlshaber des Ortes ernennt. Die Zahl der Kriegsgerichte richtet sich nach dem
Bedürfnisse; der kommandirende General des Ortes bestimmt die Gerichtssprengel. In belagerten
Festungen können die richterlichen Mitglieder, wenn solche nicht genügend vorhanden sind, durch
Mitglieder der Gemeindevertretung ergänzt werden. Ist kein Richter in der Festung, so ist
jedenfalls ein Auditeur beizuziehen (8 11). Den Vorsitz führt ein Richter; ein Berichterstatter
(Auditeur, event. Offizier) fungirt als Staatsanwalt. Ein Gerichtsschreiber ist auch zu stellen
1) Den Landesherren steht die Befugniß zur Erklärung des Belagerungszustandes nicht mehr
zu. Vgl. insbesondere Hänel, deutsches Staatsrecht, I. S. 440.
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