8 99. Das Verfahren in Armensachen und die Armenstreitsachen. 421
die Behörden zu bestimmen, welche öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der
öffentlichen Armenpflege zu entscheiden haben und das Verfahren zu regeln, welches in solchen
Streitsachen, zu denen auch Streitigkeiten über die Bildung von Armenverbänden, Zahlung
von Armensteuern u. s. w. zu rechnen sind, stattzufinden hat. Nur hinsichtlich der Streitigkeiten
zwischen Armenverbänden über die Unterstützung Hilfsbedürftiger enthält das Unterstützungs-
wohnsitzgesetz Bestimmungen, welche das Verfahren in solchen Streitigkeiten regeln, insbe-
sondere soweit es sich um Streitigkeiten von Armenverbänden handelt, welche ver schiedenen
Bundesstaaten angehören. Streitigkeiten unter Armenverbänden desselben Bundesstaates
werden auf dem durch das Landrecht vorgeschriebenen Wege entschieden (U. W. G. § 39); jedoch
kann durch Landesgesetz bestimmt werden, daß die reichsgesetzlichen Normen auch für das Ver-
fahren zur Entscheidung von Streitsachen der Armenverbände eines Bundesstaates Anwendung
finden und daß das Bundesamt für das Heimatswesen auch in solchen Streitsachen die letzte
Instanz bilde. Dies ist in Preußen geschehen (G. v. 8/3. 1871 § 59).
II. Die Armenstreitsachen. 1. Muß ein Ortsarmenverband einen hilfsbedürftigen
Inländer, der innerhalb desselben seinen Unterstützungswohnsitz nicht hat, unterstützen, so
muß die Behörde des Ortsarmenverbandes zunächst eine vollständige Vernehmung des Unter-
stützten über seine Heimaths-, Familien= und Aufenthaltsverhältnisse bewirken und hierauf
den Erstattungsanspruch bei Vermeidung des Verlustes binnen sechs Monaten nach begonnener
Unterstützung bei dem vermeintlich verpflichteten Armenverbande mit der Anfrage anmelden,
ob der Anspruch anerkannt wird. Ist der verpflichtete Armenverband nicht zu ermitteln, so
hat die Anmeldung behufs Wahrung des Anspruches innerhalb der Frist bei der zuständigen
vorgesetzten Behörde des betheiligten Armenverbandes zu erfolgen. In der Benachrichtigung
ist für den Fall, daß der unterstützende Armenverband von der etwa gesetzlich zulässigen Ver-
sagung des weiteren Aufenthaltes Gebrauch machen will, dies ausdrücklich zu bemerken. Geht
auf die erlassene Anzeige innerhalb vierzehn Tagen nach deren Empfang eine zustimmende
Antwort des in Anspruch genommenen Armenverbandes nicht ein, so gilt dies als Ablehnung
des Anspruches. Jeder Armenverband ist berechtigt, seine Ansprüche gegen einen anderen
Armenverband auf dem gesetzlich bezeichneten Wege selbstständig und unmittelbar vor den zur
Entscheidung und Vollstreckung berufenen Behörden zu verfolgen (u. W.G. 8#§ 34—360).
2. Das Unterstützungs-Wohnsitz-Gesetz regelt selbst nur das Streitverfahren, wenn
die streitenden Armenverbände verschiedenen Bundesstaaten angehören, aber auch für das
Streitverfahren erster Instanz giebt das Reichsrecht nur einzelne Normativbestimmungen
und überläßt die weitere Ausführung der Landesgesetzgebung (§ 37 a. a. O.). Nur das
Verfahren in oberster Instanz, vor dem Bundesamte für das Heimatwesen, ist reichsrechtlich
erschöpfend geregelt. Nach § 52 U.W. G. kann jedoch durch das Landesgesetz bestimmt
werden, daß die reichsrechtlichen Vorschriften über die Streitsachen zwischen Armenverbänden
verschiedener Bundesstaaten, auch für die Streitsachen zwischen den Armenverbänden des-
selben Bundesstaates zur Anwendung kommen. Von dieser, Ermächtigung hat Preußen im
Ausf.G. § 59 Gebrauch gemacht; in Folge dessen werden auch die Streitsachen preußischer
Armenverbände in zweiter Instanz vom Bundesamte für das Heimatwesen entschieden. In
erster Instanz entscheiden sowohl diese Streitsachen wie die Streitsachen preußischer Armen-
verbände mit den Armenverbänden anderer Bundesstaaten die Bezirksausschüsse im Ver-
waltungsstreitverfahren (Z.G. § 39).
3. Lehnt ein Armenverband den gegen ihn erhobenen Erstattungsanspruch ab, so wird
auf Antrag des zur vorläufigen Unterstützung verpflichteten Armenverbandes über den er-
hobenen Anspruch im Verwaltungswege durch diejenige Spruchbehörde entschieden, welche dem
in Anspruch genommenen Armenverbande vorgesetzt ist. Die Zuständigkeit, der Instanzen-
zug, sowie das Verfahren ist landesgesetzlicher Regelung überlassen, jedoch sind a) die für die
Entscheidung zuständigen Landesbehörden reichsrechtlich für befugt erklärt, Untersuchungen an