422 Sechstes Buch: Die Landesverwaltung. II. Kapitel. 8 99.
Ort und Stelle zu veranlassen, Zeugen und Sachverständige zu laden und eidlich zu vernehmen
und überhaupt den angetretenen Beweis in vollem Umfange zu erheben; b) muß die Entscheid-
ung durch schriftlichen mit Gründen versehenen Bescheid erfolgen und muß dies, sofern dabei
für den in Anspruch genommenen Armenverband eine Verpflichtung zur Uebernahme Hilfs-
bedürftiger begründet ist, im Beschluß ausdrücklich ausgesprochen werden (U. W. G. 88 38 — 40).
Nach preußischem Rechte (Ausf.G. §§ 60—62 besteht übrigens noch ein besonderes schieds-
richterliches Verfahren bei Rechtsstreitigkeiten unter den Armenverbänden. Der Kreis= bezw.
Stadtausschuß muß nämlich bei allen Streitigkeiten, in denen ein Ortsarmenverband von
einem anderen preußischen Ortsarmenverbande in Anspruch genommen wird, auf Antrag bei-
der streitenden Theile der schiedsrichterlichen Entscheidung und auf Antrag eines Theiles, wenn
dieser Antrag vor Anhängigmachung des Streites bei dem Bezirksausschusse gestellt wird, sich
einem gütlichen Sühnenversuche unterziehen. Auch kann der Kreisausschuß in jeder Lage des
Verfahrens einen Sühnenversuch veranlassen. Der schiedsrichterliche Beschluß des Kreisaus-
schusses ist endgültig. Die Beschlüsse des Kreisausschusses, sowie die urkundlichen, von dem-
selben festgestellten Einigungen sind im Verwaltungswege vollstreckbar.
4. Das Bundesamt für das Heimatwesen ist eine ständige kollegiale Reichs-
behörde mit dem Sitze in Berlin, bestehend aus dem Vorsitzenden und mindestens vier Mit-
gliedern, welche auf Vorschlag des Bundesrathes vom Kaiser auf Lebenszeit ernannt werden.
Der Vorsitzende und mindestens die Hälfte der Mitglieder müssen zum Richteramte befähigt
sein. Die Mitglieder des Bundesamtes sind den Mitgliedern des vormaligen Reichsober-
handelsgerichtes bezüglich der Versetzung in ein anderes Amt, der einstweiligen und zwangs-
weisen Versetzung in den Ruhestand, der Disciplinarbestrafung und der vorläufigen Dienst-
entlassung gleichgestellt. Zur Abfassung einer gültigen Entscheidung des Bundesamtes ge-
hört die Anwesenheit von drei Mitgliedern, von denen wenigstens eines richterliche Quali-
fikation haben muß. Die Zahl der bei der Fassung eines Beschlusses mitwirkenden Mitglieder
muß in allen Fällen eine ungerade sein. Ist die Zahl eine gerade, so führt das zuletzt er-
nannte Mitglied, und bei gleichem Dienstalter das der Geburt nach jüngere, nur eine berathende
Stimme. Im Uebrigen ist die Regelung des Geschäftsganges bei dem Bundesamte, insbe-
sondere auch der Befugnisse des Vorsitzenden einem vom Bundesamte zu entwerfenden, vom
Bundesrathe zu bestätigenden Regulative überlassen (§§ 42—45 Ul.W. G.).
Nach diesem Regulative v. 6/1. 1873 (C. Bl. S. 4 ff.), in Verbindung mit den ein-
schlägigen Vorschriften des Unterstützungswohnsitzgesetzes gestaltet sich das Verfahren in den vor
das Bundesamt für das Heimatwesen gehörigen Sachen folgendermaßen: Die Berufung an
das Bundesamt ist bei Verlust des Rechtsmittels binnen 14 Tagen von der Behändigung der
angefochtenen Entscheidung an gerechnet, bei derjenigen Behörde, gegen deren Entscheidung
sic gerichtet ist (dem Bezirksausschusse) schriftlich anzumelden. Die Angabe der Beschwerde-
punkte, sowie die Rechtfertigung der Berufung kann entweder zugleich mit der Anmeldung der
letzteren oder innerhalb vier Wochen nach diesem Termine derselben Behörde eingereicht wer-
den. Von sämmtlichen Schriftsätzen und etwaigen Anlagen derselben sind Duplikate beizufügen.
Die eingegangenen Duplikate werden vom Bezirksausschusse der Gegenpartei zur schriftlichen,
binnen vier Wochen nach Behändigung der in zwei Exemplaren einzureichenden Gegenerklärung
zugefertigt. Nach Ablauf dieser Frist legt der Bezirksausschuß die Akten dem Bundesamte vor
Erachtet dieses vor Fällung der Entscheidung noch eine Aufklärung über das Sach= und Rechts-
verhältniß für nöthig, so ist dieselbe unter Vermittelung des Bezirksausschusses vorzunehmen.
Die Entscheidung des Bundesamtes erfolgt gebührenfrei in öffentlicher Sitzung nach stattge-
habter Ladung und Anhörung der Parteien. Das Erkenntniß wird schriftlich mit Gründen
versehen den Parteien seitens derjenigen Behörde zugefertigt, gegen deren Beschluß es er-
gangen ist. Gegen die Entscheidung des Bundesamtes ist ein weiteres Rechtsmittel nicht zu-
lässig (U. W.G. §§ 46—51).