Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band II.3. Das Staatsrecht des Königreichs Preußen. (23)

8 102. Die Unfallversicherung. 433 
innere Verwaltung jeder Genossenschaft wird durch ein von der Generalversammlung zu be- 
schließendes Statut, das einen gesetzlich bestimmten Inhalt haben und vom Reichsversicher- 
ungsamt bestätigt werden muß, geregelt. Die Organe der Genossenschaft sind die General= 
versammlung und der Genossenschaftsvorstand (§§ 11 ff. U. V.G.) 1). Ausnahmen bestehen für 
die Land= und Forstwirthschaft und für Regiebauten (s. o.). 
Die Kosten der Unfallversicherung werden durch Beiträge aufgebracht, welche auf die 
Mitglieder nach Ablauf eines jeden Jahres umgelegt werden (Umlageverfahren). Dabei 
wird für jedes Jahr nur derjenige Betrag aufgebracht, welcher in demselben Jahre aus Anlaß 
der in diesem Jahre oder früher entstandenen Unfälle, bezw. an Verwaltungskosten baar aus- 
zubezahlen gewesen ist; außerdem derjenige Betrag, welcher in den Reservefonds einzulegen ist. 
Für die Tiefbauberufsgenossenschaft ist das Kapitald eckungsverfahren vorgeschrieben, 
nach welchem für jedes Jahr der Kapitalwerth der in diesem Jahre entstandenen Renten auf- 
zubringen ist (§ 10 Bau-U.G., vgl. auch § 29 a. ä. O.)?2). 
Als Unterlage für die Bemessung der Beiträge dient im Allgemeinen die Höhe des in 
dem betreffenden Jahre gezahlten Lohnes (§§ 10, 71 U.V.G.) und die Gefährlichkeit der 
einzelnen Betriebe, welche letzteren zu diesem Zwecke nach Maßgabe von Gefahrentarifen in 
Gefahrenklassen eingeschätzt sind (§ 28 U. V.G.). Von dieser Regel bestehen jedoch für die 
Seeberufsgenossenschaft und die land= und forstwirthschaftlichen Berufsgenossenschaften Aus- 
nahmen. Namentlich dient bei der Land= und Forstwirthschaft als Maßstab entweder der ab- 
geschätzte Arbeitsbedarf oder nach Bestimmung der Landesgesetze oder der Statuten, — ein 
Steuerfuß, insbesondere die Grundsteuer. In Preußen ist die Feststellung des Maßstabes 
den Berufsgenossenschaften überlassen, von denen drei die Umlegung nach dem Arbeitsbedarf, 
die übrigen neun nach der Grundsteuer beschlossen haben. 
IV. Schiedsgerichte und Reichsversicherungsamt. 1. Zur Entscheidung von 
Streitigkeiten über die Versicherungsansprüche der Arbeiter ist für den Bezirk jeder Berufs- 
genossenschaft, oder sofern dieselbe in Sektionen getheilt ist, einer Sektion ein Schiedsgericht 
errichtet, das sich aus einem ständigen Vorsitzenden und vier Beisitzern zusammensetzt. Der 
Vorsitzende und sein Stellvertreter werden aus der Zahl der öffentlichen Beamten mit Aus- 
schluß der Beamten der versicherungspflichtigen Betriebe von der Landescentralbehörde er- 
nannt. Zwei Beisitzer wählt die Genossenschaft, bezw. die Sektion aus der Zahl der stimm- 
berechtigten Genossenschaftsmitglieder, oder der von diesen bevollmächtigten Leiter der Betriebe, 
die beiden anderen Beisitzer werden nach näherer Vorschrift des Regulatives v. 28/5. 1885 
von den in § 41 U.V.G. bezeichneten Vertretern der Arbeiter aus der Zahl der in den Ge- 
nossenschaftsbetrieben beschäftigten, dem Arbeiterstande angehörigen versicherten Personen ge- 
wählt, welche Mitglieder einer der im § 42 U.V. G. genannten Krankenkassen sind. In gleicher 
Weise sind für jeden Beisitzer zwei Stellvertreter zu bestellen. Die Wahl erfolgt auf vier Jahre 
mit alternirendem Ausscheiden nach Ablauf von je zwei Jahren (88§ 46 ff. U.V.G.). 
Das Reichsversicherungsamt ist die höchste richterliche und verwaltende Behörde 
auf dem Gebiete der Unfallversicherung. Dasselbe hat seinen Sitz in Berlin, steht unter der 
geschäftlichen Aufsicht des Reichsamtes des Innern, und setzt sich aus mindestens drei ständigen 
Mitgliedern einschließlich des Vorsitzenden und aus acht nicht ständigen Mitgliedern zusammen. 
Die ständigen Mitglieder ernennt der Kaiser auf Vorschlag des Bundesrathes auf Lebens- 
zeit. Von den je auf vier Jahre zu bestellenden nicht ständigen Mitgliedern werden vier vom 
Bundesrathe aus seiner Mitte und je zwei von den Genossenschaftsvorständen und von den 
  
1) Ein weiteres Organ sind die (meistens beamteten) Beauftragten zur Koutrolle der Be- 
triebe und Ueberwachung der von den Genossenschaften gegebenen Unfallverhütungsvorschriften (88 78 
U.V.G.). 
2) Rückständige Beiträge werden wie Gemeindeabgaben beigetrieben (§ 74 U.V.G., § 83 landw. 
U. V.G. § 86 See-U. V. G.). 
Handbuch des Oeffentlichen Rechts II, Zweite Anflage: Preußen. 28
	        
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