478 Sechstes Buch: Die Landesverwaltung. III. Kapitel. § 116.
schaftliche Versuchsstationen, durch Hebung des landwirthschaftlichen Vereins= und Genossen-
schaftwesens, durch landwirthschaftliche Unterrichtsanstalten, das landwirthschaftliche Kredit-
wesen u. s. w.
Neben allen diesen gegenwärtig noch zu ergreifenden Maßregeln handelte es sich aber in
diesem Jahrhundert vor allem darum, den Grundbesitz und die Landwirthschaft von den Lasten
und der Gebundenheit zu befreien, in welche dieselben in Folge der mittelalterlichen Staats-
und Rechtsordnung gerathen waren. Abgesehen von der Beseitigung der bevorzugten
staatsrechtlich-politischen Stellung des mit patrimonialer Gerichtsbarkeit uud Polizei u. s. w.
ausgestatteten, andererseits aber vielfach im Lehensverbande befindlichen großen (adeligen)
Grundbesitzes kamen hauptsächlich zwei Momente in Betracht: 1. Aufhebung der wirthschaft-
lich-privatrechtlichen Abhängigkeit des bäuerlichen Besitzes vom großen Grunbbesitze durch Be-
seitigung des sog. getheilten Eigenthumes und der Aufhebung oder Ablösung der vielgestalt-
igen Reallasten; 2. Beseitigung der aus der ursprünglichen Ansiedelungsweise entstandenen
Feldgemeinschaft mit Flurzwang und der damit in Zusammenhang stehenden gemeinsamen
Nutzung von Allmenden, Markgütern u. s. w. Die Gesammtheit aller der hierher gehörigen
gesetzgeberischen und administrativen Maßregeln wird gewöhnlich mit dem Ausdrucke der Agrar-
gesetzgebung und Grundentlastung bezeichnet, welche in Preußen durch die beiden Edd. v. 9/10.
1807 und 14/9. 1811 eingeleitet wurde (vgl. darüber § 5).
Die zu den angegebenen Zwecken in den verschiedenen Provinzen und Landestheilen der
preußischen Monarchie erlassenen Gesetze sind so zahlreich und vielgestaltig, daß eine Aufzähl-
ung derselben mit einer nur einigermaßen erschöpfenden Angabe ihres Inhaltes nicht möglich
ist. Es muß sich daher die Darstellung auf die Hervorhebung der wichtigsten dieser Gesetze be-
schränken und scheint dies umsomehr als zulässig, als dieselben doch in der Hauptsache privat-
rechtlichen Inhaltes sind; nur die Organisation und das Verfahren der sog. Auseinandersetz-
ungsbehörden werden als dem Verwaltungsrechte angehörig etwas eingehender zu besprechen
sein. Zu berücksichtigen sind ferner nur solche Gesetze, welche gegenwärtig noch zur Anwendung
kommen können, während diejenigen Gesetze, die nur rechtsgeschichtliche Bedeutung haben,
außer Betracht bleiben. Es handelt sich dabei um zwei Gruppen von Gesetzen a) solche, welche
sich auf die Ablösung und Aufhebung der Reallasten beziehen, b) solche, die die Beseitigung der
sog. Gemeinheiten und im Zusammenhang damit die Zusammenlegung von Grundstücken be-
zwecken.
II. Was die Aufhebung der Abhängigkeit des bäuerlichen Grundbesitzes vom großen
Grundbesitze anlangt, so beruht 1. in den alten Provinzen die Aufhebung und Ablösung der
Reallasten auf dem G. v. 2/3. 1850, betreffend die Ablösung der Reallasten und die Regulier=
ung der gutsherrlichen und bäuerlichen Verhältnisse (G. S. S. 77), welches unter Aufhebung
aller früheren Ablösungs= und Regulirungsgesetze für den ganzen damaligen Umfang der
Monarchie, mit Ausnahme der auf dem linken Rheinufer belegenen Landestheile, erging 1) .
1) Für diese Landestheile waren die wesentlichen Zwecke des Ablösungsgesetzes bereits durch die
französische Zwischengesetzgebung erreicht, so daß zur Ausdehnung des G. v. 2/3. 1850 auf dieselben
kein Bedürfniß gegeben war.
2) In Neuvorpommern und Rügen traten die §§ 74 ff. G. v. 2/3. 1850 nicht in Kraft, weil
dieselben nach § 73 a. a. O. nur Anwendung zu finden haben in denjenigen Landestheilen, in welchen
das Edikt v. 14/9. 1811 und das für Posen ergangene G. v. 8/4. 1823 gegolten hatten. Da sich je-
doch herausstellte, daß auch in Neuvorpommern und Rügen noch zu regulirende bäuerliche Stellen vor-
handen waren, erging das G. v. 12/6. 1892, betreffend die Regulirung der gutsherrlichen und bäuer-
lichen Verhältnisse in Neuvorpommern und Rügen (G.S. S. 127), welches die wegen der Regulirung
der gutsherrlichen und bäuerlichen Verhältnisse behufs der Eigenthumsverleihung in den 8§8§ 74, 76, 77,
80—90, 94—98, 104—106 G. v. 2/3. 1850 enthaltenen Bestimmungen mit verschiedenen Abänderungen
auf Neuvorpommern und Rügen ausdehnte, und zwar auf diejenigen bäuerlichen Stellen, welche bereits
vor dem 4/7. 1806, dem Zeitpunkte der Aufhebung der Leibeigenschaft bestanden.