§ 123. Der Staat und die arbeitenden Klassen. 513
der Wohlfahrt der Arbeiter bezweckende sog. Arbeiterversicherung bereits in den 88 100 ff.
behandelt wurde.
II. Nachdem schon in der R.Gew.O. v. 21/6. 1869 §§ 107, 128—134 eine Anzahl
durch die Nov. v. 17/7. 1878 erweiterter und vermehrter Vorschriften bezüglich des Arbeiter-
schutzes getroffen waren, enthält die Nov. v. 1/6. 1891 (R.G.Bl. S. 216) eine umfassende
Arbeiterschutzgesetzgebung, deren Inhalt im Folgenden kurz wiedergegeben werden soll ).
Die hier einschlagenden Vorschriften (R. Gew. O. §§ 105—139b# beziehen sich theils auf
alle Arbeiter, theils auf gewisse Kategorien derselben.
A. Vorschriften, die sich auf alle Arbeiter beziehen 2). 1. das Verbot des sog.
Trucksystemes, d. h. die Arbeitgeber sind verpflichtet, die Löhne baar in Reichswährung auszu-
zahlen, sie dürfen nicht Waaren und andere Gegenstände an Zahlungsstatt geben, den Arbeitern
auch keine Waaren kreditiren. Ausgenommen ist die Verabfolgung von Lebensmitteln, sofern
sie zu einem die Anschaffungskosten nicht übersteigenden Preise erfolgt, die Gewährung von
Wohnung, Feuerung, Landnutzung, regelmäßiger Beköstigung, Arzneien und ärztlicher Hilfe,
sowie von Werkzeugen und Stoffen zu den ihnen übertragenen Arbeiten unter Anrechnung auf
die Lohnzahlung (R.Gew.O. 88 115—117)5).
2. Die Vorschriften, welche die selbstständigen Gewerbetreibenden verpflichten, diejenigen
Einrichtungen herzustellen und zu unterhalten, welche mit Rücksicht auf die besondere Be-
schaffenheit des Gewerbebetriebes und der Betriebsstätten zu thunlichster Sicherheit der Arbeiter
gegen Gefahr für Leben und Gesundheit nothwendig oder im Interesse der Sittlichkeit geboten
sind (R.Gew.O. S§ 120 u. 120a—e).
3. Die Vorschriften über die Sonntags= und Festtagsruhe. Während der § 105 R.=
Gew.sO. in seiner früheren Fassung lediglich bestimmte, daß die Gewerbetreibenden die Arbeiter
zu Arbeiten an Sonn= und Festtagen nicht verpflichten können, abgesehen von Arbeiten,
welche nach der Natur des Gewerbebetriebes einen Aufschub oder eine Unterbrechung nicht ge-
statten, im Uebrigen aber die Sonntagsarbeit grundsätzlich zulässig war, ist nach der jetzigen
Fassung der §§ 105a—i die Sonntagsarbeit grundsätzlich verboten, doch sind bestimmte Aus-
nahmen im Interesse der Ungestörtheit industrieller Betriebe zugelassen").
1) Zum R. G. v. 1/6. 1891 sind in Preußen verschiedene Ausführungsbestimmungen ergangen:
Die Anweisung des Ministers für Handel u. s. w. v. 26/2. 1892 (abgedruckt in Stolps Archiv Bd. XVIII,
S. 130—162) enthält Bestimmungen zur Durchführung der §§ 101—110 Gew.O. (Arbeitsbücher und
Arbeitszeugnisse), Lohnzahlung (§ 115 Gew.O.), 120 d und 147 Abs. 4, 134a—134h (Arbeitsordnungen),
1384 (Beschäftigung von Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeitern), 139b (Fabrikkontrolle) und 154
(Ausdehnung der Fabrikgesetzgebung auf andere Betriebe, und die Formulare zu den Verzeichnissen,
Nachweisungen u. s. w.) Ein weiteres Cirkular v. 4/3. 1892 (Stolps Archiv S. 162) enthält eine Ueber-
sicht der höheren und niederen Verwaltungsbehörden (§ 155 Abs. 2 Gew.O.); die Bek. des Ministers
für Handel u. s. w. v. 15/3. 1892 dehnt die Anweisung v. 26/2. 1892 sinngemäß auf die unter Auf-
sicht der Bergbehörden stehenden Betriebe aus, während die Bek. v. 14/3. 1892 die Aufsicht über
Durchführung der Bestimmungen der §§ 135—139a Gew. O. auf den Staatsbergwerken und -Salinen
regelt. Eine Bek. v. 25/5. 1892 (s. Stolps Archiv) überträgt die Befugnisse der Verwaltungs= und
Polizeibehörden bei Ausführung des § 155 Abs. 3 Gew.O. für die unter Reichs- und Staatsverwaltung
stehenden Betriebe auf die vorgesetzten Dienstbehörden.
2) Vgl. über die Personen, auf welche sich die Vorschriften der Nov. v. 1/6. 1891 beziehen,
Art. 7 derselben.
3) Der § 119. enthält Vorschriften über die zulässigen Lohneinhaltungen und läßt statutarische
Bestimmungen zu über die Fristen der Lohnzahlungen und die Zulässigkeit der Zahlung der von min-
derjährigen Arbeitern verdienten Löhne an deren Eltern oder Vormünder u. s. w.
4) Das preuß. G. v. 9/5. 1892 (G.S. S. 107) ermächtigte in den Provinzen Schleswig-Holstein,
Hannover und Hessen-Nassau die Oberpräsidenten und Regierungspräsidenten über die äußere Heilig-
haltung der Sonn= und Festtage Polizeiverordnungen zu erlassen, die die in diesen Rechtsgebieten be-
stehenden einschlägigen landesherrlichen und sonstigen Verordnungen zu ersetzen bestimmt sind. — In
Handbuch des Oeffentlichen Rechts II, Zweite Auflage: Preußen. 33