Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band II.3. Das Staatsrecht des Königreichs Preußen. (23)

s 128. Der Staat und die arbeitenden Klassen. 517 
sowie an die gleiche Dauer der Wohnung oder Beschäftigung im Gerichtsbezirke, wie das passive 
Wahlrecht geknüpft (§& 9—18). Die näheren Vorschriften über die Art der Wahl und das Ver- 
fahren trifft das Statut; die Prüfung der Beschwerden gegen die Rechtsgültigkeit der Wahlen 
ist der höheren Verwaltungsbehörde vorbehalten (§§ 13— 15). Das Beisitzeramt ist ein Ehren- 
amt, die Verweigerungsgründe der Uebernahme sind die gleichen wie bei Gemeindeämtern und 
Vormundschaften; die Beisitzer erhalten für jede Sitzung Vergütung etwaiger Reisekosten und 
Entschädigung für Zeitversäumniß (§ 18). Ein Mitglied, welches seine Amtspflicht gröblich 
verletzt, kann im Wege des Strafprozesses seines Amtes entsetzt werden (§ 19). Die Zuziehung 
von zwei Beisitzern bildet die Regel, für wichtigere Streitfälle kann das Statut eine größere 
Zahl vorschreiben (§ 22). 
Der zweite Abschnitt des G. v. 29/7. 1890 (§§ 24—61) regelt das Verfahren im 
Wesentlichen nach den für die Amtsgeriche geltenden Vorschriften der C. Pr. O. (§8 456 ff.), 
unter Berücksichtigung der durch die besondere Natur der Gewerbestreitsachen gebotenen, auf 
Vereinfachung und Beschleunigung hinzielenden Abweichungen. 
Endurtheile unterliegen nur dann der Berufung, wenn der Werth des Streitgegen- 
standes den Betrag von 100 M. übersteigt. Die Berufung geht an das Landgericht. Im 
Uebrigen finden in den vor die Gewerbegerichte gehörigen Rechtsstreitigkeiten diejenigen Rechts- 
mittel statt, die in den zur Zuständigkeit der Amtsgerichte gehörigen bürgerlichen Rechtsstreitig- 
keiten zulässig sind (8§ 55) 7). 
Nach dem G. v. 29/7. 1890 sollen die Gewerbegerichte nicht bloß als Prozeßgerichte 
fungiren, sondern auch als Einigungsämter thätig werden bei Streitigkeiten über die Beding- 
ungen der Fortsetzung oder Wiederaufnahme des Arbeitsverhältnisses (88 61—70). 
Eine Verpflichtung, Interessenstreitigkeiten vor dem Einigungsamte zum Austrage zu 
bringen, besteht nicht, die Vermittelung muß von beiden Theilen angerufen werden. Die Be- 
theiligten ernennen dann eine Anzahl Vertreter, welche unter Zuziehung von Vertrauens- 
männern vor dem Gerichte (in Besetzung von vier Besitzern) verhandeln. Die nächste Aufgabe 
des Einigungsamtes besteht in der Klarstellung aller Streitpunkte und dem Versuche einer 
Einigung, welche beim Zustandekommen veröffentlicht wird. Anderenfalls soll es über die 
Streitpunkte einen Schiedsspruch abgeben, der den Vertretern der Parteien zur Erklärung zu- 
geht; die Nichtabgabe einer Erklärung innerhalb bestimmter Frist gilt als Ablehnung. Eine 
öffentliche Bekanntmachung enthält den Schiedsspruch und die Erklärung der Parteien. 
Der vierte Abschnitt (§ 70) verpflichtet das Gericht, auf behördliches Ersuchen Gutachten 
über gewerbliche Fragen zu erstatten (zu welchem Zwecke Ausschüsse gebildet werden können) 
und berechtigt es, über gewerbliche Fragen, welche die seiner Gerichtsbarkeit unterstellten Be- 
triebe berühren, Anträge an Behörden zu richten. 
Während nach § 79 die Zuständigkeit der Innungen zur Entscheidung von Streitig- 
keiten zwischen Arbeitgebern und ihren Lehrlingen (R.Gew.O. § 97 Nr. 4, § 100 Nr. 1), 
sowie die Zuständigkeit der Innungsschiedsgerichte (R.Gew.O. 8 97 a Nr. 6, § 100 i Abs. 2) 
nicht berührt wurde, bestimmte 8 80, daß die nach § 14 Nr. 4 R.G.V.G. zugelassenen auf 
Grunde der Landesgesetze zur Entscheidung der gewerblichen Steitigkeiten berufenen Gewerbe- 
gerichte mit dem 1/4. 1892 aufgehoben seien, sofern nicht bis zu diesem Zeitpunkte ihre Zu- 
sammensetzung den Bestimmungen des § 12 Abs. 1 u. 2, G. v. 28/7. 1890 entspricht. 
Diese Bestimmung betraf namentlich auch die nach Maßgabe (der preuß. Gew.O. v. 
17/1. 1845 § 135, bezw.) der V. v. 7/8. 1846 bestehenden „Königlichen Gewerbegerichte“". 
In Folge dessen erging das Gesetz, betreffend die königlichen Gewerbegerichte in der Rhein- 
provinz v. 11/7. 1891 (G.S. S. 311), das unter Aufhebung der V. v. 7/8. 1846, der in 
  
1) Ueber das Verfahren vor dem Gemeindevorsteher in Ermangelung eines Gewerbegerichts 
vgl. 8§ 71—75.
	        
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