Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band II.3. Das Staatsrecht des Königreichs Preußen. (23)

§ 135. Die Gewissensfreiheit. 549 
gewährt sind, durch das G. v. 14/5. 1873 (G.S. S. 207, Ausf. Vf. v. 13/6. 1873, J.M.= 
Bl. S. 207). Der Austritt erfolgt mit bürgerlicher Wirkung durch Erklärung des Aus- 
tretenden in Person vor dem Richter seines Wohnortes. Ist der Austritt mit dem Uebertritt 
zu einer anderen Religionsgemeinschaft verbunden, so soll es bei dem bestehenden Rechte, also 
für die landrechtlichen Theile bei den oben erwähnten Vorschriften verbleiben. Will jedoch der 
Uebertretende von den Lasten seines bisherigen Verbandes befreit werden, so sind die im G. 
v. 14/5. 1873 vorgeschriebenen Formen zu bcobachten. Der Aufnahme der Austrittserklärung 
muß ein hierauf gerichteter Antrag vorangehen, der durch den Richter dem Vorstande der 
Kirchengemeinde, der der Antragsteller angehört, ohne Verzug bekannt zu machen ist. Die 
Aufnahme der Austrittserklärung findet frühestens nach vier Wochen und spätestens innerhalb 
sechs Wochen nach Eingang des Antrages zu gerichtlichem Protokolle statt. Abschrift des 
Protokolles ist dem Vorstande der Kirchengemeinde zuzustellen; eine Bescheinigung des Aus- 
trittes ist dem Ausgetretenen auf Verlangen zu ertheilen. Die Austrittserklärung bewirkt, daß 
der Ausgetretene von den auf der persönlichen Kirchen= oder Kirchengemeindeangehörigkeit be- 
ruhenden Leistungen, abgesehen von einzelnen kirchlichen Baulasten, zu denen er noch länger 
verpflichtet bleibt, mit Ende des auf die Austrittserklärung folgenden Kalenderjahres befreit 
wird. Dingliche Lasten werden dagegen durch die Austrittserklärung nicht berührt?). 
II. Im Zusammenhange mit der freien Wahl des Glaubensbekenntnisses stehen die Vor- 
schriften über die religiöse Kin dererziehung). Der Rechtszustand ist kein einheitlicher, 
vielmehr gelten in den verschiedenen Landestheilen verschiedene Bestimmungen, die durch 8 28 
Abs. 2 der Vorm.O. v. 5/7. 1875 ausdrücklich aufrecht erhalten worden sind. 
Das A.L. R. hatte in Th. II Tit. 2 § 76 bestimmt, daß wenn die Eltern verschiedenen 
Glaubensbekenntnissen zugethan sind, bis nach zurückgelegtem 14. Lebensjahre die Söhne in 
der Religion des Vaters, die Töchter aber in dem Glaubensbekenntnisse der Mutter erzogen 
werden müssen. Diese gesetzliche Vorschrift ist durch die königl. Deklaration v. 21/11. 1803 
(N.C.C. XI S. 1931) dahin abgeändert worden, daß eheliche Kinder jedesmal in der Religion 
des Vaters unterrichtet werden sollen, und daß zu Abweichungen von dieser gesetzlichen Vor- 
schrift kein Ehegatte den andern durch Verträge verpflichten dürfe. Im Uebrigen hielt die 
Deklaration die Bestimmung des § 78 Tit. 2 Th. II A.L. R. aufrecht, nach welcher Niemand 
ein Recht hat, den Eltern zu widersprechen, so lange selbige über den ihren Kindern zu er- 
theilenden Religionsunterricht einig sind. Die gesetzliche Regel kommt nicht nur bei Lebzeiten, 
sondern auch nach dem Tode der Eltern zur Anwendung; auf eine Religionsänderung des 
Vaters in der letzten Krankheit wird keine Rücksicht genommen (88 80, 81). Ausnahmen von 
der gesetzlichen Regel, die durch Verträge nicht geändert werden kann, sind nur zulässig in dem 
bereits erwähnten Falle des § 78 und nach Auflösung der Ehe sofern und insoweit die Kinder 
wenigstens das ganze letzte Jahr hindurch einen anderen Religionsunterricht erhalten haben. 
— Uneheliche Kinder werden nach dem allgemeinen Landrecht im Glaubensbekenntnisse der 
Mutter erzogen. 
Die Dekl. v. 21/11. 1803 und damit die Bestimmungen des allgemeinen Landrechtes 
wurden durch Kab.O. v. 17/8. 1825 (G. S. S. 221) auf die Rheinprovinz und Westfalen 
ausgedehnt. In Holstein ist die religiöse Kindererziehung durch ein G. v. 4. 1863 
(Dover's Zeitschr. für Kirchenrecht IV S. 265) geregelt; in Schleswig ist die Vf. der k. k. 
österr. u. k. preuß. oberst. Civilbehörde v. 23/4. 1864 (Dove's Zeitschr. VI S. 265 ff.) er- 
gangen. In Hannover gilt die V. v. 31/7. 1826 (Samml. d. Gesetze I S. 174); in Kur= 
  
1) Gegenüber der in Art. 12 V. U. gewährleisteten Religionsfreiheit und unbeschadet derselben 
ist nach Art. 14 V. U. die christliche Religion bei denjenigen Einrichtungen des Staats, welche mit der 
Religionsübung im Zusammenhange stehen, zu Grunde zu legen. 
2) Sicherer, Art. Religiöse Kindererziehung in Stengel's Wörterbuch des Verw.-Rechts, 
II. S. 383 ff.
	        
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