Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band II.3. Das Staatsrecht des Königreichs Preußen. (23)

§ 136. Das Verhältniß des Staates zu den Religionsgesellschaften überhaupt. 551 
schaften oder nur auf die privilegirten christlichen Religionsgesellschaften. Die Rechtsvorschriften 
der ersten Art werden in den folgenden Paragraphen zu besprechen sein, die Vorschriften der 
drei letzten Gruppen sind hier zu erörtern. 
1. Auf alle Religionsgesellschaften bezieht sich das G. v. 13/5. 1873, über die 
Grenzen des Rechtes zum Gebrauche kirchlicher Straf= und Zuchtmittel (G. S. S. 205). Von 
diesem Gesetze sind jedoch durch spätere Gesetze, insbesondere die GG. v. 21/5. 1886 und 
29/5. 1887 (G. S. 1886 S. 147, 1887 S. 127) alle Paragraphen bis auf § 1 wieder auf- 
gehoben, der bestimmt, daß keine Kirche oder Religionsgesellschaft andere Straf= oder Zucht- 
mittel androhen, verhängen oder verkündigen darf, als solche, welche dem rein religiösen Ge- 
biete angehören oder die Entziehung eines innerhalb der Kirche oder Religionsgesellschaft 
wirkenden Rechts oder die Ausschließung aus der Kirchen= oder Religionsgesellschaft betreffen ½. 
Unzulässig sind Straf= oder Zuchtmittel gegen Leib, Vermögen, Freiheit oder bürgerliche Ehre. 
Diese Vorschrift ist jedoch eine lex imperfecta, weil die frühere Strafbarkeit ihrer Uebertretung 
weggefallen ist?. 
2. Alle mit Korporationsrechten versehenen Religionsgesellschaften sind 
beschränkt in ihrem Vermögenserwerb. In Betracht kommt hier zunächst das G. v. 23/2.1870, 
wornach alle juristischen Personen zur Annahme von Schenkungen im Werthe von über 1000 M., 
sowie zu Schenkungen, durch welche eine neue juristische Person begründet oder einer bestehenden 
zu anderen als den bisher genehmigten Zwecken etwas gewidmet werden soll, der königlichen 
Genehmigung bedürfen. Neben diesem über das Gebiet des Kirchenstaatsrechtes hinausgehenden 
Gesetze bestehen aber in den verschiedenen Gebietstheilen eine große Anzahl sogen. Amorti- 
sationsgesetze, welche die Religionsgesellschaften im Vermögenserwerb beschränken. Ins- 
besondere hat das A.L. R. II, 11 § 194 jeden lukrativen oder onerosen Immobilienerwerb 
einer Religionsgesellschaft ohne Rücksicht auf eine bestimmte Summe von einer Genehmigung 
des Staates abhängig gemacht 5. 
3. Auf sämmtliche mit Korporationsrechten versehenen Religionsgesell- 
schaften bezieht sich ferner das G. v. 14/5. 1873, betreffend den Austritt aus der Kirche 
(G. S. S. 207), dessen hauptsächlicher Inhalt bereits im § 135 erwähnt ist. 
4. Auf allechristlichen Kirchen beziehen sich zwei Gruppen gesetzlicher Vorschriften ): 
a) bezüglich der Vorbildung und Anstellung der Geistlichen; b) bezüglich der Handhabung der 
Disciplin über Geistliche und Kirchendiener. — a) Was die Vorbildung und Anstellung der 
Geistlichen anlangt, so wurden dieselben geregelt durch das G. v. 11/5.1873 über die Vorbil- 
  
1) Nach Art. 12 G. v. 21/5. 1886 fällt die Versagung kirchlicher Gnadenmittel unter die Be- 
stimmungen des G. v. 13/5. 1873 nicht. 
2) Der durch die Nov. v. 29/5. 1887 aufgehobene § 5 G. v. 13/5. 1873 hatte Geistliche, Diener, 
Beamte oder Beauftragte einer Kirche oder Religionsgesellschaft, welche den Vorschriften der §I1—4 
G. v. 13/5. 1872 zuwider Straf= oder Zuchtmittel androhen, verhängen oder verkünden, mit Geld- 
strafen bis zu 200 Thlr. oder mit Haft oder mtt Gefängniß bis zu einem Jahre und in schwereren 
Fällen mit Geldstrafen bis zu 500 Thlr. oder mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bedroht. 
3) Vgl. Meurer, Art. Amortisationsgesetze in Stengel's Wörterbuch des Verw.-Rechts, 
I, S. 31 ff., wo die im preuß. Staatsgebiete geltenden Amortisationsgesetze angeführt sind. 
4) Außerdem ist hier auch noch Art. 14 V. U. anzuführen, welcher bestimmt, daß die christliche 
Religion bei denjenigen Einrichtungen des Staats, welche mit der Religionsübung im Zusammenhange 
stehen, zu Grunde zu legen ist. Mit dem in Art. 14 V. U. aufrecht erhaltenen christlichen Charakter 
des Staats hängen auch die Vorschriften über die Sonntagsheiligung zusammen, bezüglich welcher 
(§ 366 Z. 1 N. Str. G. B.) das Landesrecht aufrecht erhalten ist, soweit nicht jetzt die Gew. O. Nov. v. 
1/6. 1891 selbst Vorschriften enthält. In Preußen werden die betreffenden Vorschriften in der Form 
von Polizeiverordnungen erlassen (vgl. G. v. 9/5. 1892, G. S. S. 107 u. G. v. 12/3. 1893, betr. die 
Verlegung der Landes-Buß= und Bettage, G.S. S. 29). — Müller, Art. Sonntagsfeier in 
Stengel's Wörterbuch des Verw.-Rechts, II, S. 467 f. — Hue de Grais, Handbuch der Verfassung 
und Verwaltung, 8. Aufl., S. 306.
	        
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