8 141. Die Staatsverträge. 571
Verträge mit fremden Regierungen zu errichten. Letztere bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Zu-
stimmung der Kammern, sofern es Handelsverträge sind, oder wenn dadurch dem Staate Lasten
oder einzelnen Staatsbürgern Verpflichtungen auferlegt werden.“
Friedensverträge und Handelsverträge kommen für Preußen nicht mehr in Betracht,
da in dieser Hinsicht das Reich ausschließlich zuständig ist. Im Uebrigen giebt der Art. 48 V. U.
nach doppelter Richtung zu Zweifeln Anlaß, nämlich: 1. ob die Vorschrift, daß zu gewissen
Verträgen die Zustimmung der Kammern nothwendig ist, sich nur auf die staatsrechtliche oder
auch auf die völkerrechtliche Gültigkeit bezieht; 2. welche Art von Staatsverträgen der Zu-
stimmung des Landtages bedürfen.
Anlangend zunächst den zweiten Punkt, so kann die Bestimmung, daß Verträge, durch
welche dem Staate Lasten auferlegt werden, der Zustimmung des Landtages bedürfen, nicht
wörtlich genommen werden, da abgesehen von den zwischen Staaten kaum vorkommenden
reinen Schenkungsverträgen jeder Vertrag den Kontrahenten Lasten auflegt. Unter „Lasten“
sind daher nur Lasten finanzieller Natur zu verstehen; es hat durch die betreffende Bestimmung
lediglich das Budgetrecht des Landtages gewahrt werden sollen. Ebensowenig ist die Vorschrift,
daß Verträge, durch welche „einzelnen Staatsbürgern Verpflichtungen auferlegt werden" der
Zustimmung des Landtages bedürfen, wörtlich zu nehmen, denn durch Staatsverträge als solche
kann überhaupt den Staatsbürgern eine Verpflichtung nicht auferlegt werden. Verpflichtungen
für die Unterthanen können sich erst dann ergeben, wenn der betreffende Vertrag von der Re-
gierung als Gesetz oder Verordnung verkündigt worden ist. Da nun die Absicht der hier frag-
lichen Vorschrift keine andere sein kann, als zu bewirken, daß die Mitwirkung des Landtages
auch in den Fällen gewahrt bleibt, in denen die Regierung einen Staatsvertrag über einen
Gegenstand schließt, der nur in der Form des Gesetzes geordnet werden kann, so ist durch diese
Vorschrift bestimmt, daß alle Staatsverträge der Mitwirkung des Landtages bedürfen, wenn
deren Vollzug den Unterthanen Lasten und Verpflichtungen auferlegt, die die Regierung im
Verordnungswege nicht auferlegen kann. Kann sie die betreffenden Angelegenheiten im Wege
der Verordnung regeln, so bedarf ein bezüglicher Staatsvertrag der Zustimmung des Land-
tages nicht.
Anlangend sodann die Frage, ob die Zustimmung des Landtages bloß für die staats-
rechtliche Wirksamkeit, oder auch für die völkerrechtliche Gültigkeit Bedeutung hat, so ist diese
Frage im Sinne der zweiten Alternative zu beantworten. So lange die Zustimmung des
Landtages nicht erfolgt ist, ist der Vertrag nicht abgeschlossen; es liegt nur ein Vertragsent-
wurf vor. Deshalb kann die Ratifikation des Vertrages erst geschehen nach erfolgter Zu-
stimmung des Landtages, bezw. sie kann jedenfalls nur unter der Bedingung ertheilt werden,
daß die Zustimmung nachträglich erfolge. Für diese Auffassung spricht der in Art. 48 ge-
brauchte Ausdruck „Gültigkeit“; denn „gültig“ ist ein Rechtsgeschäft erst dann, wenn alle für
seinen Abschluß gegebenen formellen und materiellen Vorschriften erfüllt sind; die Vorschrift,
daß der Vertrag der Zustimmuug des Landtages bedarf, ist aber eine Formvorschrift, ohne
deren Erfüllung der Vertrag nicht als abgeschlossen betrachtet werden kann.
Ein gültig abgeschlossener Staatsvertrag bindet zunächst nur die Kontrahenten, d. h.
die Staaten. Soll dessen Inhalt für die Unterthanen verpflichtend sein, so muß derselbe in
der Form des Gesetzes oder der Verordnung verkündigt werden. Es kann dies in einer doppelten
Weise geschehen, nämlich so, daß die Regierung ein dem Inhalte des Vertrages entsprechendes
Gesetz, bezw. eine damit übereinstimmende Verordnung verkündigt, oder daß sie den Vertrag
selbst bekannt macht und den Befehl, den Inhalt desselben zu befolgen, beifügt. In Preußen
ist aber ein noch einfacheres Verfahren herkömmlich; es wird lediglich der abgeschlossene Ver-
trag publizirt und der Befolgungsbefehl, als in der Publikation liegend, stillschweigend ergänzt.