§ 143. Die Zuständigkeit d. Reiches u. der Einzelstaaten auf dem Gebiete d. Heerwesens. 577
IV. Do jeder deutsche Staat nach der Reichsverfassung seine eigenen Truppen oder sein
Kontingent hat, so sind die Truppenkörper Anstalten und Einrichtungen der Einzelstaaten, nicht
des Reiches, die vom Landesherrn als dem Träger der Staatsgewalt beherrscht werden. Daraus
folgt, daß, abgesehen von der Militärgesetzgebung, den Einzelstaaten die Militärhoheit, also
insbesondere die Kommandogewalt, die Militärgerichtsbarkeit und die Militärverwaltung, die
sogen. Kontingentsherrlichkeit verblieben ist. Die in der Kontingentsherrlichkeit liegenden Rechte
sind jedoch erheblichen Beschränkungen unterworfen, namentlich ist die Kommandogewalt dadurch
beschränkt, daß alle Truppen dem Oberbefehle des Kaisers unterstellt sind. Immerhin macht
sich die Kommandogewalt in der Weise geltend, daß die Offiziere, abgesehen von denjenigen,
deren Ernennung dem Kaiser zusteht, vom Landesherrn ernannt werden und zu ihm im Dienst-
verhältniß stehen.
Neben der Kontingentsherrlichkeit stehen den Landesherren nach Art. 66 R.V. noch
gewisse territoriale Militärhoheitsrechte, insbesondere Ehrenrechte zu, die ihnen gegenüber allen
in ihrem Gebiete garnisonirenden oder sich daselbst aufhaltenden Truppen zustehen, gleichgültig,
ob diese Truppen zu ihrem Kontingente gehören oder nicht. Hervorzuheben ist, daß sie nach
Art. 66 Abs. 2 R.V. befugt sind, zu polizeilichen Zwecken nicht bloß ihre eigenen Truppen zu
verwenden, sondern auch alle anderen Truppentheile des Reichsheeres, welche in ihren Länder-
gebieten dislozirt sind, zu requiriren.
V. Nach Art. 58 R.V. werden die Kosten und Lasten des gesammten Kriegswesens des
Reiches von allen Bundesstaaten und ihren Angehörigen gleichmäßig getragen, so daß weder
Bevorzugungen noch Prägravationen einzelner Staaten oder Klassen zulässig sind.
Soweit nun persönliche Dienstleistungen der Reichsangehörigen in Frage sind, wird
die Gleichmäßigkeit der Tragung der Lasten zunächst dadurch bewirkt, daß in Art. 57 R.V.
der Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht aufgestellt ist. Sodann kommt in Betracht die
Stellung des Ersatzbedarfes durch die einzelnen Bundesstaaten. In dieser Beziehung gilt
jetzt das R.G. v. 26/5. 1893, betreffend die Ersatzvertheilung (R.G. Bl. S. 185). Nach
Art. II dies. G. bestimmt der Kaiser für jedes Jahr die Zahl der in das Heer und in die
Marine einzustellenden Rekruten. Der Gesammtbedarf an Rekruten wird für das unter
preußischer Verwaltung stehende Reichs-Militärkontingent durch das preußische Kriegsmini-
sterium, für die übrigen Reichsmilitärkontingente durch die betreffenden Kriegsministerien auf
die Armeekorps-Bezirke vertheilt und zwar nach dem Verhältniß der im laufenden Jahre in
diesen Bezirken vorhandenen, zur Einstellung in den aktiven Dienst tauglichen Militärpflich-
tigen ausschließlich derjenigen der seemännischen Bevölkerung. Die Vertheilung des Ersatz-
bedarfes für die Marine findet durch das preußische Kriegsministerium nach Maßgabe der vor-
handenen, zur Einstellung in den aktiven Dienst tauglichen Militärpflichtigen der seemännischen
Bevölkerung statt. Beim Mangel an Ersatzmannschaften der seemännischen Bevölkerung wird
der Bedarf durch Hinübergreifen auf geeignete Militärpflichtige der Landbevölkerung unter Zu-
rechnung zu den für das Landheer aufzubringenden Rekruten gedeckt. Vermag ein Armee-
korpsbezirk seinen Rekrutenantheil nicht aufzubringen, so wird der Ausfall auf die anderen
Armeekorpsbezirke desfelben Reichsmilitärkontingents nach Maßgabe der vorhandenen Ueber-
zähligen gedeckt. Die unter selbstständiger Militärverwaltung stehenden Armeekorpsbezirke
können im Bedarfsfalle im Frieden zur Rekrutengestellung für Armeekorps anderer Reichs-
militärkontingente nur in dem Maße herangezogen werden, als Angehörige der betreffenden
Kontingente bei ihnen in Gemäßheit des § 12 R.Militär-G. v. 2/5. 1874, bezw. des G. v.
6/5.1880 zur Aushebung gelangen; den Austausch regeln die Kriegsministerien untereinander.
Was die fin anziellen Lasten des Heerwesens anlangt, so ergiebt sich die Gleichmäßig-
keit der Tragung derselben durch alle Bundesstaaten dadurch, daß der ganze Aufwand für
Landheer und Flotte aus der Reichskasse bestritten wird und daher als Ausgabe im Reichshaus-
haltsetat erscheint (Art. 62 R.V.). Die Leistung der Ausgaben dagegen nach Maßgabe der im
Handbuch des Oeffentlichen Rechts II, Zwelte Auflage: Preußen. 37