Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band II.3. Das Staatsrecht des Königreichs Preußen. (23)

8 21. Die Rechtsunterschiede unter den Staatsangehörigen. 63 
durch die Verfassungsurkunde aufgehobenen Rechte sind in den seit der Mitte der 50er Jahre 
abgeschlossenen Recessen größtentheils wiederhergestellt worden, da sie in der bayer. V. v. 19/3. 
1807 anerkannt waren, auf welche die Bundesakte als subsidiäres Recht verwies. 
3. Das Recht der Autonomie. Die B. A. Art. 14 Nr. 2 bestimmte, daß nach den 
Grundsätzen der früheren deutschen Verfassung die noch bestehenden Familienverträge aufrecht 
erhalten werden sollen und sicherte den Standesherren die Befugniß zu, über ihre Güter und 
Familienverhältnisse verbindliche Verfügungen zu treffen, die jedoch dem Souverän vorgelegt 
und bei den höchsten Landesstellen zur allgemeinen Kenntniß und Nachachtung gebracht werden 
müssen. Diese Familienautonomie ist anerkannt in der preußischen Gesetzgebung, in den mit 
den einzelnen Standesherren auf Grund der V. v. 12/11. 1855 abgeschlossenen Verträgen, 
in den betreffenden hannöverischen und kurhessischen Verordnungen und den auf Grund des 
G. v. 15/3. 1869 ergangenen Gesetzen. Hiernach bedürfen sowohl die älteren, wie die neueren 
Familienverträge, um vor Gericht bindende Kraft zu erhalten, der königlichen Genehmigung, 
die ihnen aber nicht versagt werden soll, wenn darin weder gegen die Rechte Dritter, noch 
gegen die Landesgesetze etwas enthalten ist. 
Was den Inhalt und Umfang dieser Autonomie anlangt, so ist die von Einigen 
(Wilda, Wächter und Gerber, vgl. auch Bornhak a. a. O. S. 318) vertretene Ansicht 
zu verwerfen, wornach die Autonomie des hohen Adels weiter nichts ist, als eine „erweiterte 
Privatautonomie“ und juristisch denselben Charakter habe, wie die allgemeine privatrechtliche 
Zulässigkeit der Eingehung von Verträgen oder der Errichtung von Testamenten, denn, wie 
Stobbe#) mit Recht hervorhebt, wäre von diesem Gesichtspunkte aus eine bundesrechtliche 
Zusicherung nicht nothwendig gewesen und es bleibt dabei der übrige Inhalt der Hausgesetze, 
die Bestimmungen über Ebenbürtigkeit der Ehen, Mündigkeit, Vormundschaft u. s. w. nicht 
berücksichtigt, welche über den denkbaren und sonst beobachteten Umfang der sogen. Privat- 
autonomie hinausgehen. Die Bedeutung der Autonomie der Familien des hohen Adels liegt 
vielmehr darin, daß diese Familien das Recht haben, ihre Angehörigen bindende Rechts- 
normen zu schaffen, die, soweit Reichs= und Landesrecht der Autonomie Raum lassen, auch 
vom gemeinen Rechte abweichen können. In welcher Weise innerhalb einer ehemals reichs- 
ständischen Familie die Autonomie geübt wird, ob vom Familienhaupt allein oder mit Zu- 
ziehung der Agnaten, läßt sich nur für die einzelnen Familien mit Rücksicht auf ihre Obser- 
vanz und für die einzelnen Rechtsverhältnisse bestimmen, über welche Verfügungen getroffen 
werden sollen. 
Anlangend die Gegenstände, auf welche die Autonomie der ehemals reichsständischen 
Familien sich bezieht, so sind dies die Verhältnisse ihrer Güter und Familien (Familien= und 
Erbrecht); im Einzelnen ist die Hausverfassung dafür maßgebend, wie weit sich die Autonomie 
erstreckt. In neuerer Zeit ist die Familienautonomie der Mediatisirten durch das Reichsrecht 
beschränkt worden. So hat das Personenstandsgesetz vom 6/2. 1875 für die Erfordernisse 
der Eheschließung, die Gerichtsbarkeit in Ehesachen, Stellvertretung der Verlobten und Auf- 
gebot nur den Landesherren, den Mitgliedern der landesherrlichen Familien und der fürst- 
lichen Familie Hohenzollern die besonderen Bestimmungen der Hausgesetze und Observanzen 
vorbehalten, nicht aber den Mediatisirten, die daher unter das gemeine Eherecht gestellt sind. 
Das Gleiche gilt vom R.G. v. 17/2. 1875 über den Großjährigkeits-Termin. Dagegen sind 
durch die preußische Vormundschaftsordnung v. 57. 1875 gemäß § 101 die nach dem bisher 
geltenden Privatfamilienrechte der Mediatisirten denselben zustehenden Befugnisse nicht be- 
rührt worden. 
4. Die Freiheit der Aufenthaltswahl. Die Bundesakte hatte den Mediatisirten 
die unbeschränkte Freiheit, ihren Aufenthalt in jedem zum Bunde gehörigen, mit demselben in 
  
1) Handbuch des deutschen Privatrechts. 2. Aufl. I. Bd. S. 136 ff.
	        
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