78 Erstes Buch: Staat und Staatsverfassung. III. Kapitel. § 26.
fassungsurkunde vor, so lange das in Art. 72 V. U. in Aussicht genommene Wahlgesetz noch
nicht erlassen ist.
Nachdem das Einkommensteuergesetz v. 24/6. 1891 die Klassensteuer und die klassifizirte
Einkommensteuer zu einer einheitlichen Einkommensteuer verschmolzen und in § 17 die Ein-
kommensteuer bis zu 900 M. steuerfrei gelassen hat, erging im Anschluß an § 85 des Ein-
kommensteuergesetzes das G. v. 24/6. 1891, betr. die Aenderung des Wahlverfahrens (G. S.
S. 231), welches bestimmte: a) daß behufs Bildung der Urwählerabtheilungen für die Wahlen
zum Hause der Abgeordneten für jede zur Einkommensteuer nicht veranlagte Person ein
Steuerbetrag von 3 M. an Stelle der bisherigen Klassensteuer zum Ansatz zu bringen ist;
b) daß bis zur anderweitigen in Folge der Ueberweisung der Grund= und Gebäudesteuer an
kommunale Verbände etwa erforderlich werdenden Abänderung der Vorschriften über die
Wahlen zum Hause der Abgeordneten in Gemeinden, die in mehrere Urwahlbezirke getheilt
sind, unter Abänderung der betr. Bestimmungen des § 10 d. V. v. 30/5. 1879 für jeden
Urwahlbezirk eine besondere Abtheilungsliste gebildet wird 1).
Das G. d. 24/6. 1891 ist wieder beseitigt worden durch das G. v. 29/6. 1893, betr.
Aenderung des Wahlverfahrens (G. S. S. 103), nach welchem die Theilung der Urwähler in
drei Abtheilungen nicht mehr nach Maßgabe der direkten Staatssteuern, sondern nach Maß-
gabe der von den Urwählern zu entrichtenden direkten Staats-, Gemeinde-, Kreis-,
Bezirks= und Provinzialsteuern erfolgt, für jede nicht zur Staatseinkommensteuer ver-
anlagte Person, an Stelle dieser Steuer ein Betrag von 3 Mark zum Ansatz zu bringen ist,
und Urwähler, die zu einer Staatssteuer nicht veranlagt sind, in der dritten Abtheilung
wählen 2).
II. Nach der V. v. 30/5. 1849 wird die zweite Kammer durch Wahl gebildet und
zwar ist die Wahl eine mittelbare, indirekte, indem die Urwähler die Wahlmänner und diese die
Abgeordneten wählen.
Wahlberechtigter Urwähler ist nach § 8 d. V. v. 30/5. 1849 jeder selbstständige Preuße,
welcher das 24. Lebensjahr vollendet und nicht den Vollbesitz der bürgerlichen Rechte in Folge
rechtskräftigen richterlichen Erkenntnisses verloren hat 5) in der Gemeinde, wo er seit sechs
Monaten seinen Wohnsitz oder Aufenthalt hat, sofern er nicht aus öffentlichen Mitteln Armen-
unterstützung erhält.
Was unter „Selbstständigkeit“ zu verstehen ist, bestimmt das Gesetz nicht, nach der
Praxis (vgl. M. Bl. d. i. V. 1849 S. 361, Sten. Ber. d. Abg. H. 1879/80, I, S. 322),
ist aber „unselbstständig“ im Sinne des § 8, wer nicht verfügungsfähig ist (Wahnsinnige,
Verschwender) oder wer Gefangener ist oder sich im Konkurse befindet.
1) Vor dem Einkommensteuergesetze vom 24/6. 1891, bezw. dem G. v. 24/6. 1891, betr. die
Abänderung des Wahlverfahrens kam das G. v. 26/3. 1883 (G. S. S. 34) zur Anwendung, das die
beiden untersten Stufen der Klassensteuer aufhob und die Verpflichtung zur Entrichtung der Klassen-
steuer erst bei einem Jahreseinkommen von mehr als 900 M. beginnen ließ und ebenso drei Monats-
raten der Stufen drei bis zwölf der Klassensteuer, zwei Monatsraten der ersten und eine Monatsrate
der zweiten Stufe der klassifizirten Einkommensteuer außer Hebung setzte, in § 4 aber anordnete, daß
für die Feststellung der nach dem Maßstabe der Besteuerung geregelten aktiven und passiven Wahl-
berechtigungen, die in den Gesetzen über die Klassen= und klassifizirte Einkommensteuer vorgeschriebenen
Steuersätze maßgebend bleiben und auch ferner die Veranlagung der Klassensteuer nach den bisherigen
Vorschriften zu erfolgen hat. (Für Hohenzollern vgl. §§ 6 und 7 d. G. v. 26/3. 1883 und § 5 d. G.
v. 10/3. 1881, betr. den dauernden Erlaß an Klassen= und klassifizirter Einkommensteuer, sowie die
Ueberweisung von Steuerbeträgen an die hohenzollern'schen Lande G. S. S. 126).
2) In § 7d. G. ist wiederholt bestimmt, daß bis zum Erlasse des Wahlgesetzes die Vorschriften
der Art. 71 und 115 V. U., soweil sie den Bestimmungen des Gesetzes entgegenstehen, außer Kraft treten.
5) Da nach §§ 31 ff. R. Str. G. B. die bürgerlichen Ehrenrechte nur auf eine bestimmte Zeit
aberkannt werden können, fällt nach Ablauf dieser Zeit das Hinderniß, welches der Ausübung des
aktiven Wahlrechts entgegenstand, wieder weg. Dasselbe gilt natürlich auch für das passive Wahlrecht.