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wissen, daß niemand sich der Thränen des Mitleids erwehren konnte,
und auch dem harten Schwager Zähren der Reue über die Backen
rannen. So kam ein Ausgleich zu stande, indem sich Heinrich Raspe
zur Auslieferung der Mitgift und zur Zahlung eines jährlichen Ein-
kommens von 300 Mark Silbers verstand; außerdem versprach er
natürlich, sich mit der vormundschaftlichen Regierung zu begnügen und
seinen Neffen als eigentlichen Landesherrn anzusehen. Nach der
Wartburg aber kehrte Elisabeth wohl nicht wieder zurück, obgleich
es spätere Uberliejerung behauptet. Sie zog nach Marburg, um
dort ganz dem Himmel zu leben, begleitet natürlich von ihrem
Peiniger und Zuchtmeister Konrad von Marburg. Dort erbaute sie
zu Ehren des heiligen Franziskus von Assisi, der ihr Vorbild ge-
wesen und in dessen Orden sie auch als Tertianerin eintrat, ein
Hospital, in dem sie sich selbst der Pflege der Kranken und den
nichrigsten Diensten unterzog. Es konnte nicht fehlen, daß eine solche
Lebensweise unter solcher geistlicher Fürsorge, wie die Konrads von
Marburg, ihre Kräfte zusehends aufrieb. In noch nicht vollendetem
24. Lebensjahre starb sie, am 19. November 1231, und ward in der
von ihr gestifteten Kapelle des heiligen Franziskus beigesetzt. An
ihrem Grabe geschahen die üblichen Wunder, wie ihr Zuchtmeister
es nicht anders erwartet hatte. Auf seine Anzeige davon übertrug
Paypst Gregor IX. ihm und zwei andern Geistlichen die zur Kanoni-
sation, zur Heiligsprechung, nötige Untersuchung der Wunder. Sie
fiel vollkommen befriedigend aus; aber Konrad von Marburg erlebte
den Erfolg nicht mehr. Erst 1235 wurde Elisabeth unter die Heiligen
der Kirche erhoben; ihr Todestag ist ihr Heiligentag. Am 1. Mai 1236
versammelte sich an ihrem Grabe eine überaus erlauchte Versammlung.
Kaiser Friedrich II. selbst mit zahlreichen Fürsten, unter denen sich
auch der liebevolle Schwager Heinrich Raspe befand, erschien in
der Kapelle des heiligen Franziskus, ließ sich die Gruft öffnen und
schmückte die Märtyrerin der Askese mit einer goldenen Krone. Ihr
Schwager Konrad aber, der mittlerweile Deutschordensritter geworden
war, und seine Ordensherren ließen in den nächsten fünfzig Jahren über
ihrer Gruft jenen herrlichen Dom erstehen, der uns das erste Beispiel einer
gotischen Hallenkirche mit drei gleich hohen Schiffen bietet, zugleich aber
auch glänzende Beweise der reich entwickelten mittelalterlichen Skulptur.