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zu bauen. Ost rückte man dabei das erste und auch das zweite Stock-
werk etwas vor, so daß den Straßen Licht und Luft dadurch geschmälert
wurde. Unter solchen Überhängen, wie man diese Vorsprünge nannte,
richtete man gern Kaufläden und Werkstätten ein. Im allgemeinen
darf man sagen, daß Architektur in diesem Zeitalter des 12. und
13. Jahrhunderts für Privatleute so gut wie nicht eristierte, wenigstens
nicht in Thüringen, noch weniger in Meißen. Das hing auch mit
dem noch immerhin ländlichen Charakter der meisten Städte zusammen.
deren Bürger noch meist ihr vor der Stadt liegendes Feld beackerten,
auf die Gemeindewiese ihr Vieh trieben, vielfach auch in dam Raume
zwischen der Stadtmauer und dem äußeren Verteidigungswall und auch,
wo angängig, zwischen der Stadtmauer und den hinterliegenden
Häusern, im sogenannten Zwinger, Garten= und Gemüsebau pflegten.
Nehmen wir solche Verhältnisse als Vorbedingung für den ge-
sundheitlich en Zustand einer Stadt, so wird sich viel Gutes nicht
erwarten lassen. Nur schwache Ahmmg von einer öffentlichen Ge-
sundheitspflege war vorhanden. Man hing wohl jährlich ein Verzeichnis
aus, an welchem Tage, teils wegen der Mondyhasen, teils wegen
sonstiger Konstellationen, ein Aderlaß günstig und geboten war, denn
Aderlaß war ein Universalmittel für alles mögliche und wird auch bei
einem Geschlechte, das ziemlich ummäßig im Essen und Trinken war, oft
genug segensreiche Wirkung gethan haben. Bei ansteckenden Krank-
heiten wurden Räucherungen empfohlen, namentlich von Thymian und
Wachholder. Die ärztliche Kunst befand sich bei der Schen, den Ge-
heimnissen der Natur nachzugehen, die man mit einem religiösen
Schleier überdeckte, durchaus in den Anfängen. Es ist darum gar kein
so wunderbarer Gegensatz, wenn wir im früheren Mittelalter die Medizin
in den Händen der Geistlichkeit, darnach aber sehr vielfach in den
Händen der Juden sehen. West= und Süddeutschland kannten schon im
13. Jahrhundert Stadtärzte, denen die Beaufsichtigung der gesundheit-
lichen Verhältnisse zugestanden war. Im Meißnischen und in Thü-
ringen lassen sich in gleicher Zeit davon noch keine Spuren finden.
Das Bedürfnis aber, die öffentliche Gesundheitspflege einigermaßen
geordnet zu sehen, war zweifellos vorhanden, da es in dieser Zeit des
Mittelalters ebenso ansteckende, ganze Länder heimsuchende Krankheiten
gab wie heute. Die Berichte darüber entsprechen dem Bildungszustande