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der Zeit, sind unklar, vor allem abergläubisch, und gestatten darum
nicht immer ein abschließendes Urteil. Aber ganz genau, wie unser
Zeitalter seine eigenartigen Krankheitserscheinungen hat, die plötzlich
auftauchen, eine Zeit der akuten Entfaltung haben, nachher endemisch
werden und schließlich ganz verschwinden, haben wir das auch beie
den mittelalterlichen, meist als Pest bezeichneten Krankheiten zu ver-
stehen, bis jene große Pest auftrat, im Jahre 1348, die allgemein
als das große Sterben bezeichnet wird und von der später noch die
Rede sein wird. Sehr häufig sind die Nachrichten von dem durch
schlechte und unzulängliche Nahrung infolge des oft genug auftretenden
Mißwachses hervorgerufenen Hungertode oder vielmehr dem auf gleicher
Grundlage sich entwickelnden Hungertyphus. Ganz eigentümlich muten
uns aber Nachrichten an von allgemein sich verbreitenden seelischen
Krankheitszuständen. Bis zu einem gewissen Grade mag man wohl
auch die unserer Anschauung nach völlig nach Überreizung aussehende
Kreuzzugbewegung als eine weite Kreise ergreifende krankhafte Er-
scheinung ansehen. Wenn sich aber von ihr die Erwachsenen in einer
für uns unbegreiflichen Art gefangen nehmen ließen, wie darf es dann
Wunder nehmen, wenn die gleiche Bewegung auch die Kinder ergriff
und werkwürdigerweise fast allenthalben zur nämlichen Zeit. Während
in Frankreich im Jahre 1212 der Hirtenknabe Stephan (Etienne)
seinen Herden weidenden Genossen das Kreuz predigte und bald einen
solchen Zulauf erhielt, daß an die 30 000 unbewaffnete Kinder sich
ihm angeschlossen haben sollen und unaufhaltsam seiner Führung
folgten — natürlich kamen sie meist elendiglich um —, erschien im
selben Jahre 1212 nach dem Berichte einer alten Erfurter Chronik
ein Knabe in Städten und Dörfern Thüringens und sang ein Lied
des Inhalts, daß ihnen Christus sein Kreuz und Grab aus den Händen
der Ungläubigen wieder zustellen wolle. Auch hier schloß sich ihm
eine große Anzahl von Knaben an, die sich auf keinen Fall zurück-
halten ließen. Auch sie erreichten ihr Ziel nicht, sondern viele kamen
durch die Strapazen des Weges um, andere kehrten, eines besseren belehrt.
zurück. Das Vorspiel aber einer später unter den Erwachsenen auftretenden
Krankheitserscheinung lernen wir im Jahre 1237 kennen. Wie später
namentlich die Erößeren eine unsinnige Tanzsucht erfaßte, so wurden schon
im genannten Jah Erf gesucht. An die
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