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und befand sich unter dem Krummstabe seiner Bischöfe und im Be-
sitze der den Handel und Wohlstand mehrenden Peter= und Paulmesse
recht wohl. Es mag hierbei der bekannten lberlieferung gedacht werden,
daß die Stadt während der Hussitenkriege von Prokop belagert und
nur durch den glücklichen Einfall eines Schulmeisters gerettet worden
sei, der an der Spitze seiner Kinder bei dem grimmen Hussitenührer
Fürbitte eingelegt und dadurch sein Herz gerührt habe; sie ist ja auch
in dem allbekannten Volksliede verewigt worden und bildet die Grund-
lage des alljährlich um Jakobi gefeierten Kirschenfestes. Da aber
merkwürdigerweise alle älteren und zeitgenössischen Berichte über Thü-
ringen während der Hussitenkriege auch kein einziges Wort über diesen
Vorfall verlauten lassen, so ist man der Sache näher nachgegangen,
und bei dieser Gelegenheit hat sich ergeben, daß die Geschichte über-
haupt erst seit 1782 in dieser Form auftritt und zum Urheber einen
zwar sehr phantasievollen, aber alles andere eher als historisch-gewissen-
hasten Antiquitätensammler und -fabrikanten hat, einen gewissen Johann
Georg Rauh, der um die genannte Zeit Garnisonkinderlehrer in Naun-
burg war. Dieser beruft sich auf die Chronik eines alten Mönches
aus dem vormaligen Kloster zu St. Georg vor Naumburg, Benediktus
Taube, von dessen Existenz und Werken niem and Kenntnis gehabt hat
als der erwähnte Rauh, und setzt das in Frage stehende Ereignis auf
den 28. Juli 1432, unmittelbar nach der Einnahme der Stadt Alten-
burg und vor die Verwüstung der Stadt Plauen durch die Hussiten.
Diese beiden Thatsachen fallen aber in den Anfang des Jahres 1430,
in den Januar, und zwar Altenburgs Eroberung auf den Donnerstag
nach dem Heiligen drei Königstage, die von Plauen auf den Tag
Pauli Bekehrung, das ist der 25. Januar, so daß also weder von
einer längeren Belagerung Naumburgs die Rede sein kann, noch auch
bei der Jahreszeit von einer Verteilung von Kirschen an die Kinder.
Gegenüber den Rauheschen Fabelgeschichten ist aber auf eine Nolßz
in der Chronik des 1696 verstorbenen naumburger Stiftsyndikus
Eulenburger hingewiesen worden, daß im Jahre 1450, also während
des unglückseligen Bruderkrieges, Herzog Wilhelm gegen Naumburg
und dessen ihm verfeindeten Bischof Peter herangezogen sei; aber die
Naumburger hätten ihm Kinder mit Zweigen und Früchten entgegen-
geschickt, und diese hätten durch ihr fußfälliges Bitten den Herzog zum