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furchtbare Seuche aus dem Orient und war wahrscheinlich aus Indien
nach den Häfen der Levante verschleppt, wie sie überhaupt, ganz ent-
sprechend anderen Epidemien, die großen Handelswege wandelte und
abgelegene Ortschaften, ja ganze Lande, wie Ostfranken, Schlesien,
Polen, entweder fast verschonte oder erst am Ende dieses heimgesuchten
Jahrzehntes erreichte. Auch damals war es nach den uns erhaltenen
Außerungen die asiatische Beulen= und Bubonenpest, die bis auf den
heutigen Tag noch nicht ausgestorben ist; sie war aber mit einer,
namentlich anfangs regelmäßig, nachher in seltenerem Maße ver-
bundenen Lungenaffektion verbunden, die in einer übermäßigen Ab-
sonderung der Bronchien bei Unmöglichkeit, sie durch Auswerfen zu
entfernen, bestanden zu haben scheint.
Nach der mittelalterlichen Anschauung von dem Verhältnis der
Gottheit zum Menschen kann es nicht auffallen, daß man in dem
„großen Sterbent“ oder „Sterbot“ eine Strafe Gottes erkannte, gegen
die sich zu schützen genau besehen eine Auflehnung gegen den göttlichen
Willen war, wie noch 1430 ein schlesischer Gottesgelehrter sich gegen
den Vorschlag der Arzte, man solle sich gegen die Ansteckung durch
Reinigung des Körpers zu wehren suchen, mit der Mahnung wandte,
man müsse in erster Linie auf die Reinigung der Seele bedacht sein,
weil die Pest eine Dienerin des göttlichen Zornes sei. Aber es findet
sich, wenn auch noch etwas später ausgesprochen, eine Ansicht, die uns
deswegen nicht uninteressant ist, weil sie gerade aus der blühenden
Stadt Erfurt stammt, und zwar aus dem Munde des ehrwürdigen
Konrad Stolle, der zu Erfurt 1505 verstarb; seine Auffassung ist nicht
theologisch, obgleich er Vikar zu Severin war, auch nicht gerade gemüt-
voll, sondern er sprach gelegentlich einer 1483 ausbrechenden Hungers-
not mit verbundenem größeren Sterben die Ansicht aus, die sicher
auch schon früher geteilt worden ist: „es war auch zu der Zeit sehr
viel Volkes, da innerhalb von zwanzig Jahren nie kein rechtes Sterben
gewesen war. Es war auch selten ein Ehepaar, das nicht acht oder
neun oder zehn Kinder gehabt hätte.“ Es ist nun zwar einerseits die
Richtigkeit dieser Angabe durch mühsame Forschung bestätigt worden,
anderseits aber auf Grund vieler letztwilliger Verfügungen wenn auch
nicht der Nachweis geführt, so doch die Wahrscheinlichkeit erhärtet
worden, daß die überlebenden Kinder an Zahl schließlich auch nicht