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vorlag, daß der arme Schütze, der ausgehungert und mit wunden Füßen
hinter ihm herschlich, Verbindung mit dem Elternhause erlangen könne.
Währenddem nährte er sich von dem mitbekommenen Gelde und von
dem, was der Schütz Johannes zusammenbettelte. Als das Geld zu
Ende war, mußte der Knabe nicht nur betteln, sondern auch stehlen.
Wenn die beiden an einen Ort kamen, so wurde der lleine Kerl hinein-
geschickt und mußte sich durch grundlose Straßen, in deren Kot er oft
bis über die Knie versank, und durch Scharen bissiger Hunde, die ihn
in Todesangst, oft auch wohl in wirkliche Todesgefahr brachten, durch-
schlagen und von Haus zu Haus Gaben heischen. Am Ausgange
erwartete ihn dann sein Herr, der auf bequemerem und trockenerem
Wege um den Ort herumgegangen war. Hatte nun Johannes nichts
Ordentliches mitgebracht, so setzte es Schläge; im andern Falle aß der
Bean die guten Brocken und ließ seinem Schützling den Abfall. Da-
bei hatte er ihn aber immer in dem Verdacht, daß er von den ge-
schenkten Lebensmitteln schon etwas verzehrt hätte, und pflegte dann
das probate Bacchantenmittel anzuwenden, das uns auch auf den
Fahrten des Thomas Platter wieder begegnet: er ließ ihn sich den
Mund mit Wasser ausspülen und dann das Wasser ausspeien, um
daran zu sehen, ob er etwa einen fetten Brocken schon im voraus für
sich stiebitzt hätte. In Karlsbad gelang es dann endlich dem armen
Jungen mit Hilfe einer gutherzigen Familie, seinem Peiniger zu ent-
kommen. Nach mancherlei Schicksalen erst kam er dazu, seine Studien
wieder aufzunehmen, oder vielmehr überhaupt ganz von neuem zu be-
ginnen. Denn das, was er in Miltenberg gelernt, hatte er rein wieder
vergessen und Neues auf seiner Wanderung nicht dazu gelernt; von
seinem Bacchanten, versichert er, habe er nie ein lateinisches Wort
vernommen. — In seinen Erlebnissen lag aber mit nichten irgend
etwas Außergewöhnliches. Mitunter fast mit denselben Worten erzählt
Thomas Platter seine Schicksale, und so erging es Hunderten und
Tausenden von diesen armen Schlingeln, die Wissens= und Wandertrieb
in die unbekannte Fremde führte. Thomas Platter kam auf seiner
Wanderung auch nach Meißen. Sein Bacchant hatte ihm weiß
gemacht, im Meißnischen sei es erlaubt, Enten und Gänse zu schießen,
ohne daß die Bauern etwas dawider hätten. Deshalb konnte es der
zehnjährige Thomas (geb. 1499) kaum erwarten. bis sie endlich in