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war einer von den vier gekrönten Tönen des meisterlichen Hortes.
Er lebte jedoch nicht in Meißen, sondern zumeist in Böhmen am Hose
Kaiser Karls IV., dem er zum Dank für erwiesene Wohlthaten sein
Lehrgedicht „Das Buch der Maide" widmete. Auch mit Herzog
Rudolf IV. von Österreich, dem Gründer der wiener Universität, war
er befreundet; er eignete ihm ein historisches Werk zu, eine ungarische
Chronik. Auch machte er sich, einer der ersten solcher Versuche,
1369 daran, den römischen Historiker Valerius Maximus zu übersetzen.
Außer kleinen spruchartigen Gedichten, in denen er dem früher genannten
Heinrich Frauenlob von Meißen sich anschließt, hat er in Nachahmung
von Konrads von Würzburg goldener Schmiede einen Lobgesang auf
die heilige Jungfrau gedichtet. —
Gegenüber der gelehrten Bildung, die bei allen den vorgenannten
vorauszusetzen ist, trat die des Volkes zweifellos in den Hintergrund;
denn auch die mitgeteilten Proben sogenannter Volkspoesie sind doch
nur von Leuten mit bestimmter Vorbildung verfaßt worden und nachher
erst Gemeingut geworden. Nur in einem Punkte existierte eine
allgemeinere Kenntnis und zwar in größerem Umfange, als man sie
vor Luthers Zeit für gewöhnlich vorauszusetzen gewohnt ist: eine sehr
umfängliche und sichere Kenntnis der Bibel, natürlich nach Übersetzungen,
die sich nicht an den Urtext, sondern an die in der Kirche ibliche
Vulgata, eine lateinische Übertragung, anschlossen. So fehlerhaft und,
was die deutsche Wiedergabe anlangt, so unverständlich sie auch mit-
unter sein mochte, sie erfüllte doch ihren Zweck, indem sie dem theo-
logisch grübelnden Volke viel Material zum Nachdenken und auch zu
mitunter recht wenig willkommenen Disputationen mit den „Pfaffen“
gab. Und trotz alledem blieb dasselbe Volk noch in demselben Glauben
befangen, den es ab und zu mit seiner Schriftkenntnis im einzelnen
anzufechten sich erkühnte. Ja im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts
nimmt das Wallfahrtswesen wieder eine geradezu an Wahnsinn
grenzende Ausartung an. Konrad Stolle, der vorerwähnte thüringische
Chronist, berichtet zum Jahre 1475, wie da im Sommer in Thüringen
und Meißen, aber auch in Franken und Hessen und anderwärts Kinder
und junge Leute von 8 bis 20 Jahren sich plötzlich ohne Vorwissen
der Eltern oder ihrer Dienstherrschaften zusammenthaten, oft zwei= bis
dreihundert stark, und mit Fahnen singend dahinzogen. „Und sprachen