Das ernestinische und albertinische Sachsen
bis zum Wechsel der Kurwürde.
Kaum ein anderes europäüsches Volk hat sich in verhältnismäßig
kurzen Perioden in solchen politischen Gegensätzen bewegt wie das
deutsche. Der überschuß an schaffenden, selbstherrlichen Kräften, viel-
fach zu hohem, reichem Segen sich ausgestaltend, erwies sich doch in
der Hauptsache, d. h. die Entwickelung des Reiches anlangend, als
eine böse Morgengabe, die eine tückische Fee dem werdenden, nach
Abschluß ringenden deutschen Volke allemal dann mitgab, wenn sonst
alle Verhältnisse auf Einheit und Einheitlichkeit gebieterisch hinwiesen.
In den Jahrzehnten und Jahrhunderten, da sich die meisten euro-
päischen Mächte, insbesondere aber Frankreich, in wohl konsolidierten,
dem Absolutismus sich nähernden Staatsverfassungen zusammenschlossen,
zerfiel Deutschland erst recht in einzelne Herrengebiete, da sich weder
die Fürstengewalten untereinander zu einigen verstanden, noch
auch die geringste Lust verspürten, sich der kaiserlichen Gewalt unter-
zuordnen. Das dynastische Aufstreben des Hauses Habsburg äußerte
sich hierbei als Ursache und Wirkung; als Ursache, indem die Fürsten
des Reiches, argwöhnisch diese Machtvermehrung beobachtend, alles
thaten, um einerseits diese Machtentfaltung zu hindern, oder
wenigstens meist nichts thaten, sie irgendwie zu unterstützen; als
Wirkung, indem das Kaiserhaus sich auf die Verstärkung seiner Haus-
macht aus den allerverschiedensten Gründen angewiesen sah und als
Entgelt für die mangelnde Willigkeit der Reichsfürsten diese eben nur
zum eigenen Nutzen, wo und wie es der Zufall eben gab, heranzu-
ziehen verstand. Rücksichten des Anstandes oder ritterliche Denkungs-
weise hinderten dabei das Erzhaus gar nicht, am allerwenigsten den