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der aber schon 1509 Tetzels Ablaßkram in Annaberg kennen gelernt
und 1510 aus ähnlichen Gewissensbedenken wie Luther in ein Franzis-
kanerkloster getreten war, sagt von jenen lutherischen Streitsätzen, sie
hätten in vier Wochen schier die ganze Christenheit durchlaufen, als
wären die Engel selbst Botenläufer. Luther selbst erschrak über diesen
Erfolg; er versicherte brieflich dem Bischof Scultetus von Branden-
burg, er wolle gar nicht determinieren, sondern nur disputieren. Aber
zu einer Disputation stellte sich niemand, dagegen wurde der Kampf
litterarisch gegen ihn aufgenommen. Zunächst wandte sich Tetzel gegen
Luther, indem er 106 allerdings mehr von dem frankfurter Gelehrten
Johann Wimpina (Koch) verfaßte Antithesen drucken ließ. Sie hatten
keinen besonderen Erfolg; in Wittenberg verbrannten die Studenten
sie öffentlich. Sicher wirlte hier auch der seit der Gründung der beiden
Universitäten bestehende Gegensatz zwischen Wittenberg und Frankfurt.
Von größerer Bedeutung war ein von Rom selbst ausgehender Angriff,
wohin Erzbischof Albrecht von Mainz alsbald über den vermessenen
Mönch und seine Thesen berichtet, dabei auch sich sehr über die Störung
seines „heiligen Negotiums“ beklagt hatte. Der Meister des heiligen
päpstlichen Palastes, ein Dominikaner, Silvester Mazzolini da Pirerio,
schrieb eine überaus heftige Erwiderung, in der er den neuen Gegner
der Kirche einen Aussätzigen und einen Hundesohn nannte. In
dessen Hände und in die des Bischofs von Ascoli wurde auch die
Führung des von der Kurie gegen Luther sofort anhängig gemachten
Ketzerprozesses gelegt. Schon am 7. August 1518 erhielt der witten-
berger Mönch die Aufforderung, sich binnen sechzig Tagen diesen
Richtern zu Rom zu stellen. Man nahm also in den leitenden Kreisen
Roms die Sache keineswegs so leicht, wie mitunter behauptet wird,
wennschon Leo X. selbst, in seinen politischen und sonstigen weltlichen
Interessen völlig aufgehend, die Tragweite der Sache nicht erkannte
und das Ganze für ein vorübergehendes Mönchsgezänk hielt. Er
erteilte dem neuernannten Augustinergeneral Gabriel Venetus im
Februar den Auftrag, den Menschen zu besänftigen, glaubte also noch,
mit gütlichen Mitteln den Streit beilegen zu können. Allerdings erhielt
wenige Wochen später, Anfang Mai 1518, der nach Deutschland ab-
gehende Kardinallegat Thomas de Vio aus Gaeta (lat. Gastanus,
woraus man dann Cajetan machte) neben seinen politischen Instruktionen