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Angesicht des Kaisers und der versammelten Fürsten treten. Auf die
Frage, ob er die in seinen Büchern enthaltenen, als ketzerisch bezeich-
neten Sätze widerrufen wollte, bat er sich zur Überraschung aller eine
Bedenkzeit von 24 Stunden aus, die ihm nicht ohne rügende Bemerkung
gewährt wurde. Der Ernst der Stunde, die glänzende Versammlung
hatten ihn befangen und schüchtern gemacht. Viele waren enttäuscht; der
Kaiser meinte geringschätzig: „Der wird mich nicht zum Ketzer machen!“
Aber am nächsten Tage hatte sich Luther auch von diesem Reste von
Menschenfurcht frei gemacht; in längerer, erst lateinischer, dann deutscher
Rede trat er für seine Schriften und seine Lehren ein und schloße
„Es sei denn, daß ich durch Zeugnis der Schrift überwunden werd',
oder durch offenbare Gründe. — Denn ich glaube weder dem Papst
noch den Konzilien allein, weil am Tage liegt, daß dieselben oft geirret
und wider sich selbst geredet haben: ich bin überwunden durch die
Schriftstellen, die ich angeführt habe, gefangen im Gewissen an Gottes
Wort. Deshalben nichts mag, noch will widerrufen, weil wider das
Gewissen zu handeln unsicher und gefährlich ist.“ Und als er dann
von dem trierischen Offizial Johann Eck nochmals gesragt wurde, ob
er wirklich glaube, daß die Konzilien geirrt hätten und er ohne Zaudern
bejaht hatte, da befahl der über solche Kühnheit empörte Kaiser, die
Verhandlungen abzubrechen. Und hier war es, wo Luther in die
wachsende Aufregung hinein die Worte rief, die, verschieden überliefert,
schließlich die bekannte Form erhalten haben: „Hier stehe ich, ich kam
nicht anders, Gott helfe mir! Amen.“ Dann verließ er, von dem
Hohngeschrei und Zischen der Spanier und von den Beifallsrufen der
Deutschen begleitet, den Saal, die Hand hoch emporhaltend, wie die
deutschen Landsknechte zu thun pflegten, wenn ihnen eine rechte
Sache glücklich gelungen war. „Ich bin hindurch, ich bin hindurch!"
rief er den Freunden in der Herberge zu, triumphierend, als er
heimkam.
Der Kaiser wollte nun ohne weiteres die Acht über ihn verhängen.
Aber die Stände waren dagegen; sie setzten einen achtgliederigen Aus-
schuß durch, in dem der Erzbischof von Trier, Joachim von Branden-
burg und Herzog Georg von Sachsen die hervorragendsten Mitglieder
waren, um mit Luther nochmals zu unterhandeln. Man kam ihm
hierbei so weit entgegen, daß man seine Unterwerfung, wenn nicht