— 1104 —
Auch der behutsame, um nicht zu sagen furchtsame Erasmus ron
Rotterdam, den insbesondere Georg von Sachsen anging, in der Kirchen-
frage nun endlich Farbe zu bekennen, begann sich in dieser Zeit von
Luther abzuwenden. Es wurde ihm unheimlich zu Mute vor dieser
dämonischen Natur, die sich in der Erregung selbst nicht kannte und
die Endfolgen, das Wohin, in das sie getrieben wurde, selbst nicht zu
übersehen vermochte.
Das gilt vor allem von dem politischen Gebiete. Man darf
wohl sagen, daß Luther der politische, der staatsmännische Blick so gut
wie ganz abging; er meinte, die Neu-
ordnung der Dinge werde sich friedlich,
nur durch die Macht des Wortes,
vollziehen, er blieb darum der Be-
wegung Sickingens mit kühlem Herzen
fern, so sehr er dann den Hintritt des
heldenherzigen Mannes bedauerte, er
hörte nicht auf, auf das „junge
Blut“, den spanischen Karl, zu hoffen
er verabsäumte es, rechtzeitig mit
organisatorischer Kraft alle widerkirch-
lichen Elemente zu vereinen und dabei
was allerdings die Aufgabe der ihn
Albrecht von Brandenburg, anhaftenden großartigen Einseitigleit
Herzog in Preußen. bediugt hätte, auch zu einem Kom-
(Nach Weisser, Bilderatlas.) promisse sich geneigt zu zeigen —
alles das weist auf seine trotz des
nationalen Aufschwunges von 1520 doch immer wieder hervordringende
theologische Befangenheit und politische Kurzsichtigkeit hin. Meinte
er doch so wie so, daß alle diese irdischen Wirren nur das Vorspiel
seien für den in nächster Zeit bevorstehenden jüngsten Tag und
daß „alle Stunden der Welt Zerstörung zu erwarten“ sei. So ist
es ihm auch nicht klar geworden, daß der Ton der meisten seiner
Schriften revolutionär, aufreizend wirken mußte, namentlich da, wo
er auf die Fürsten zu sprechen kommt. So in der „Schrift von der
weltlichen Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei“. Da
heißt es unter anderem: „Sollst wissen, daß von Anbeginn der Welt