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gepflegte Kunst, die er sicher mit Tausenden seiner Zeitgenossen
übte, und die ja zum Teil heute noch geübt wird, nicht mit Still—
schweigen übergangen werden: die Kunst des Punktierens.
oder die Geomantik (Erdweissagung). Letzteren Namen hat sie
davon erhalten, daß die Araber, von denen diese sonderbare Orake-
lei herstammt, ihre Punkte auf den Erdboden, in den Sand mach-
ten. Wie gründlich Kurfürst August diese Weissagekunst betrieben,
geht daraus hervor, daß in Dresden 33 Foliobände aufbewahrt:
sind, in denen die Regeln des Punktierens und der zu seiner
Anwendung nötige Apparat enthalten ist, ferner 10 weitere solche.
Bände, drei davon von des Kurfürsten eigener Hand geschrieben,
in denen die Anwendungen auf alle möglichen Fragen des pri-
vaten und öffentlichen Lebens niedergelegt sind.
Wenn in der vorgeschilderten Weise die oberen Stände sich
im Banne von allerhand Aberglauben befanden, wie hätten die
unteren sich da nicht erst recht in der Finsternis tummeln müssen.
Vom Hexenglauben ist schon berichtet worden. Zahlreich sind
ferner, teilweise noch lebendig im Volksmunde, die Besprechungs-
formeln erhalten, in denen, für den Kundigen erkennbar genug,
durch die angerufene Dreieinigkeit und die Heiligen die alten
Heidengötter Wodan, Thor und Gefolge hindurchschimmern.
Ein erfreulicheres Kapitel bilden die öffentlichen Auf-
führungen. Zunächst waren sie kirchlicher Natur und stellten
Szenen aus dem Alten, mit Vorliebe jedoch aus dem Neuen
Testamente und daraus besonders die Geschichte Christi und seines
Leidens dar. So wurde zu Leipzig vor der Reformation jedes
Jahr am Palmsonntage von der Thomaskirche aus der sog. Palm-
esel, ein aus Holz gefertigtes grau überzogenes Gestell auf Rädern,
mit einer in wallende Gewänder gehüllten Holzfigur darauf,
die den Heiland darstellte, durch die mit Weidenkätzchen bestreuten
Straßen und dann zurück in die Kirche gefahren. Dann folgte
unter allgemeiner Teilnahme der Bevölkerung durch die Geistlich-
keit die Darstellung der Leidensgeschichte in der Kirche bis zur
Auferstehung am Ostersonntag. Am Himmelfahrtstage wurde
dann vor der versammelten Gemeinde die Holzfigur Christi in
die Höhe gezogen, bis sie in einer Luke verschwand sofort danach