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Ufer angekommen war, lösten sich alle Bande der Disziplin in
der Armee. Das Häuflein Sachsen hielt zusammen; doch wurden
von den 60 Mann, die noch die Regimenter von Rechten und von
Low bildeten, am 4. Dez. durch einen Überfall bei Molodeczno
44 Mann getötet. Am 13. Dez. überschritten die Sachsen den
Niemen, am 17. erreichten sie Gumbinnen, am 20. Königsberg.
Oberst Lessing geleitete sie nach Sachsen zurück. Es waren 7 Osfi-
ziere und 4 Mann von den Gardedukorps, 13 Offiziere und
3 Mann vom Regiment Zastrow, 1 Mann von der reitenden Bat-
terie Hiller, die als Reste der sächsischen Reiterbrigade sich in
Guben am 15. Jan. 1813 einfanden, Sie alle hatten die napo-
leonische Herrschaft von Grund aus durchkosten müssen; von der
Begeisterung, mit der die Offiziere den Fahnen des Imperators
gefolgt waren, war nicht nur nichts mehr übrig, sondern an
deren Stelle war Haß gegen den erbarmungslosen Massenschlächter
und gegen die ganze französische Nation getreten. Im ganzen
hatte der russische Feldzug den Sachsen zirka 20000 Mann ge-
kostet, also ziemlich die ganze Armee.
In dem vorhin erwähnten Orte Molodeczno, einige Meilen
hinter Minsk, diktierte Napoleon am 4. Dez. das 29. Bulletin
des Feldzuges. Es wurde darin der französischen Nation die Ver-
nichtung der großen Armee mitgeteilt und als deren Ursache die
furchtbare Kälte angegeben. Am Schlusse aber stand die beruhigende
Versicherung zu lesen: „Die Gesundheit seiner Majestät ist nie-
mals befser gewesen.“ Dann war Napoleon der Armee vorans
nach Wilna geeilt, hatte sich hier mit nur vier Begleitern in
Schlitten gesetzt und war am 5. Dez. auf und davon gejagt. Am
Spätabend des 13. Dez. erschien bei dem französischen Gesandten
Serra zu Dresden ein Kurier, der die in Bälde bevorstehende Au-
kunft des Kaisers anzeigte. Zwei Stunden später traf dieser bei
seinem Geschäftsträger ein, in dessen Bett er sich sofort legte, und
ließ den König Friedrich August dahin entbieten. In der etwa
1½ Stunde währenden Unterhaltung, die der Kaiser vom
Bette aus führte, gestand er zwar ein, daß seine russische
Armee vernichtet sei, prahlte aber, um den König zu be-
ruhigen, mit 100000 Mann, die er noch am Niemen stehen