Full text: Illustrierte Geschichte der Sächsischen Lande und ihrer Herrscher. II. Band, 2. Abteilung. Das Albertinische Sachsen von 1815-1904. (4)

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übertrug ihm am 27. April überhaupt die Vertretung am Bundes- 
tage. Aber je eifriger man selber daran gegangen war, Entwürfe 
zu machen, um so weniger war man geneigt, auf die Gedanken und 
Vorschläge der anderen einzugehen. Die weitere Entwicklung der 
Verhältnisse: der Zusammentritt des Vorparlaments und des 
deutschen Parlaments, machten alle diese Pläne zu Makulatur. 
Das Vorparlament wurde am 31. März zu Frankfurt eröffnet 
und zeigte von vornherein einen schroffen Gegensatz zwischen den 
gemäßigten Liberalen und den auf eine allgemeine deutsche Repu- 
blik hinarbeitenden, namentlich aus Baden kommenden Radikalen 
Die 26 aus Sachsen erschienenen Abgeordneten schlossen sich zum 
großen Teil dieser republikanischen Partei an und bewiesen da- 
durch, daß das in ihrem Heimatlande bisher befolgte System 
der Abtötung jedes selbständigen politischen Denkens gerade das 
Gegenteil und extreme Grundsätze hervorgebracht hatte, wie auch 
vielfach im Lande die bedenklichsten Anzeichen einer revolutionären 
Gesinnung zutage traten. So stürmte in Waldenburg der Pöbel 
am 5. April das Schloß des durch seine vornehme Wohltätigkeit 
ausgezeichneten Fürsten Otto Viktor, der kaum das eigene 
Leben rettete, verwüstete es und brannte es nieder. Im Gebirge 
hielt man dafür, daß nunmehr Jagd und Holzung freigegeben 
seien, auch kam es in den Dörfern zu kommunistischen Aus- 
schreitungen. Überhaupt machte sich die soziale Frage neben der 
politischen sehr bemerklich, da mit der aufblühenden Industrie 
sich in deren Zentren eine bedeutende Arbeiterbevölkerung ent- 
wickelt hatte, in der das natürliche Bedürfnis erwachte, ihre Lage 
zu verbessern und sich maßgeblichen Anteil am politischen Leben 
zu erwirken. Da jetzt jede polizeiliche Bevormundung aufgehört 
hatte, so hielten die Arbeiter Versammlungen ab und wählten 
zur Vertretung ihrer Interessen Ausschüsse. In Leipzig bildete 
sich ein Zentralkomitee aller deutschen Arbeiter. Hier entstand 
auch der Vaterlandsverein unter Robert Blums Leitung mit aus- 
gesprochen demokratischer Tendenz; er rekrutierte sich aus dem 
kleineren Handwerker= und Arbeiterstande und bildete allenthalben 
Zweigvereine, die sich ihr Programm aus Leipzig holten. Im 
April bestanden schon vierzig solcher Vereine mit 11579 Mit-
	        
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