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Souveränitätsrechte aufzugeben, als sich zur Umgestaltung eines
Staatenbundes in einen Bundesstaat notwendig erweisen werde.
Gewiß unter dem Drucke der Ereignisse und der Zeitströmung,
aber darum in nicht minder anerkennenswerter Weise ging die
erste Kammer in der Neugestaltung des sächsischen Staates voran,
indem sie in Übereinstimmung mit der zweiten Kammer einen
Antrag auf völlige Gleichstellung des ritterschaftlichen und bäuer-
lichen Grundbesitzes unter Wegfall der Jagd-, Patronats-, Ge-
meindesteuerprivilegien u. a. und auf eine schnelle und billige
Ablösung der sonstigen gutsherrlichen Rechte einbrachte und diesen
Antrag nur gegen fünf Stimmen annahm, während die zweite
Kammer natürlich einstimmig beitrat. Dagegen wandte sich diese
gegen das von der Regierung durch den Minister Braun ein-
gebrachte neue Wahlgesetz, das nur eine Reform der zweiten Kam-
mer vorsah, dagegen die Zusammensetzung der ersten Kammer
unangetastet ließ. Schon wurden auch bei der Linken Stimmen
laut, daß man die erste Kammer als ein Nest der Reaktion über-
haupt abschaffen müsse. Doch erklärte sich die zweite Kammer für
deren Beibehaltung mit einer Majorität von immerhin 31 Stimmen,
aber unter der Voraussetzung einer Reform, und wies deshalb
das Wahlgesetz zurück, das die Regierung am 7. Juli mit dem
Versprechen zurückzog, ein neues auf Grund der erfahrenen
Anregungen ausarbeiten zu wollen.
Zwischendurch erledigte die Kammer die zweifellos liberalen
Gesetzentwürse über die Presse, über Versammlungs= und Koa-
litionsrecht; die Gemeindewahlen wurden zu direkten umgestaltet,
im Heere die Losziehung und Stellvertretung abgeschafft, die
Deutschkatholiken als christliche Kirchengemeinschaft anerkannt. Un-
erledigt blieben dagegen die Kirchenverfassung, die Schulgesetz-
gebung und vor allem die Reform der Justizgesetze. Allerdings
wurden provisorisch für Preßvergehen und für einzelne politische
Vergehungen Geschworenengerichte zugestanden, deren Beisitzer
nach der Anordnung des Justizministers Braun sogar aus
allgemeinen Wahlen hervorgehen sollten. Schließlich kam man
auch noch zur Beratung des neuen Wahlgesetzes, dessen lang-
same Entstehung allerhand Gerüchten von reaktionären Einflüssen