Full text: Illustrierte Geschichte der Sächsischen Lande und ihrer Herrscher. II. Band, 2. Abteilung. Das Albertinische Sachsen von 1815-1904. (4)

— 256 — 
nister von Friesen, der nach seiner Rückkehr von einer Reise nach 
Italien die Direktion der Kreishauptmannschaft Zwickau über- 
tragen erhalten hatte, hatte gerade in seinem Bezirke reichlich 
Gelegenheit, über die unüberbrückbaren Gegensätze von einst und 
jetzt Erfahrungen zu sammeln. So war einer der wichtigsten 
Grundsätze der sächsischen Innungsverfassung, daß niemand zwei 
zünftige Gewerbe zugleich treiben, niemand zugleich zwei Innun- 
gen angehören dürfe. Nun gab es aber damals im Erzgebirge 
und im Vogtlande ganze Ortschaften, und zwar wohlbevölkerte, 
deren männliche Bevölkerung regelmäßig im Frühjahre in großer 
Anzahl nach Leipzig und Dresden gingen, um dort als Zimmer- 
leute oder Maurer und in ähnlichen Betrieben zu arbeiten, 
wobei sie natürlich als Gesellen den betreffenden Innungen an- 
gehörten, im Herbst aber in ihr Heimatdorf zurückkehrten, um 
hier als zünftige Webermeister am Webstuhle zu schaffen. Ein 
Einschreiten der Behörde, wozu sie auf etwa einlaufende Klagen 
hin formell geradezu gezwungen gewesen wäre, hätte hier natür- 
lich wirtschaftlich das größte Unheil angerichtet und politisch recht 
böses Blut gemacht. Also sah man soviel als möglich über solche 
Dinge hinweg und erwartete das Nötige von einer vernünftigen 
zukünftigen Gesetzgebung. — Eine andere bedenkliche Seite stellte 
das Verbietungsrecht der Handwerkerinnungen gegen den Handel 
mit Handwerkswaren von seiten solcher dar, die nicht zu der 
betreffenden Innung gehörten, namentlich auch von seiten der 
Kaufleute. Es durfte dementsprechend nur ein Schuhmacher Schuhe 
seiner eigenen Arbeit und der der Innung überhaupt verkaufen, 
ein Sattler nur Riemen= und Sattelzeug, nur die Schlosser fertige 
Schloßteile und Türbänder usw. Dem Kaufmann, dessen Gewerbe 
nach dem Bedürfnisse der Entstehung seines Standes auf Kauf 
und Verkauf von allerhand, nicht bloß von Kolonialwaren, ge- 
richtet war, hätte also mit Handwerkserzeugnissen überhaupt nicht 
handeln dürfen. Die Unhaltbarkeit solcher Auffassung einsehend, 
halfen sich die Behörden mit einer häufig ganz willkürlichen Inter- 
pretion jener Bestimmung, indem sie annahmen, daß sich jenes 
Verbietungsrecht nur auf die von den Mitgliedern der etwa klage- 
führenden Innungen verfertigten Waren bezöge. Mit diesen dürfte
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.