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Wert. In der Schlußrede, die an Stelle des soeben mit seiner
Gemahlin nach Luzern abgereisten Königs diesmal Kronprinz
Albert hielt, wurde die Verabschiedung des neuen Wahlgesetzes
als eines der schönsten Ergebnisse der ständischen Beratungen ge-
feiert. — Der eben erwähnte Abgeordnete Dr. Heyner griff dabei
in einer seit der Revolutionszeit nicht mehr gehörten Weise das
politische Prinzip des Ministeriums von Beust an, namentlich
wegen der strengen Bevormundung der Beamten und der Zurück-
drängung jedes politischen Lebens. Waren ja u. a. bis zu dem
neuen Gesetze von 1861 die Wahlversammlungen verboten ge-
wesen. Auch kamen auf diesem Landtage die vorerwähnten Kon-
duiten= oder schwarzen Listen zur Erwähnung. Wenn sich auch
Beust sehr geschickt gegen solche Angriffe wehrte, so blieb doch
ein Rest von Unbefriedigung, und er wurde nicht zum geringsten
Teile durch die äußeren Verhältnisse verstärkt.
Es unterlag keinem Zweifel, daß der Einheitsgedanke noch
keineswegs zu Grabe getragen war, sondern im stillen fortlebte
und allgemach an Kraft zunahm. Ebensowenig war es zweifelhaft,
daß bei dem Krimkriege der Bund eine recht klägliche Rolle gegen-
über den beiden führenden Großmächten gespielt hatte. Was
würde der Bund, so fragte man sich, mit seiner brüchigen Kriegs-
verfassung, die weder ein einheitliches Kommando noch eine ein-
heitliche Bewaffnung kannte, tun, wenn etwa der unruhige Nach-
bar im Westen, dessen Selbstgefühl seit dem Krimkriege sichtlich
gewachsen war, seine alten Gelüste auf den Rhein und die
Tradition des großen Oheims zu erneuen sich bereit zeigte? Zu-
dem empfand man es wie allgemein im übrigen Deutschland,
so auch in Sachsen als einen großen Mangel in der Bundes-
verfassung, daß am Bundestage nur die Regierungen und nicht
die Regierten, nicht das deutsche Volk vertreten war. Charakte-
ristisch war hierbei die Haltung Beusts, als während des neunten
ordentlichen Landtages (Oktober 1857 bis August 1858) diese
Fragen unter dem Eindrucke der eben erwähnten Ereignisse wieder
berührt wurden. Der Gedanke einer Mitwirkung der deutschen
Ständekammern bei der internationalen Gesetzgebung des Bundes,
sei von der Regierung noch nicht aufgegeben, eine förmliche Volks-