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durch die Ankunft der zweiten Schwiegertochter. Am 11. Mai
hatte die Vermählung des Prinzen Georg mit der portugiesischen
Infantin Maria Anna zu Lissabon stattgefunden. In Begleitung
eines Bruders der Infantin hatte das fürstliche Paar, da der
Landweg durch die Kriegsläufte verschlossen war, seinen Weg
zur See zunächst bis Southampton genommen und war am
18. Mai von der Königin Viktoria im Buckingham-Palace mit
großer Freundlichkeit aufgenommen worden. Am 26. Mai fuhr
es durch das damals gerade von österreichischen Truppen unter
Clam-Gallas überfüllte Leipzig, wurde noch am selben Tage vom
Könige und der gesamten Familie willkommen geheißen und hielt am
28. Mai seinen festlichen Einzug in die Residenz. Ferner besuchte am
4. Sept. der 1848 von der Regierung zurückgetretene König Lud-
wig von Bayern, der Halbbruder der Königin und der Königin-
Witwe Dresden und gab der Dresdener Künstlerschaft Gelegen-
heit, dem fürstlichen Beschützer und Förderer der Künste am
14. Sept. einen Fackelzug unter starker Beteiligung der übrigen
Bevölkerung zu bringen. Dann folgte die Feier des 50jährigen
Stiftungstages der sächsischen Jägerbrigade am 30. Sept. zu
Leipzig, wo drei Bataillone dieser Brigade lagen. In Gegenwart
des Kronprinzen, der dabei den Vorsitz führte, und des Prinzen
Georg fand am 1. Okt. ein festliches Mahl in der dortigen
Zentralhalle statt. — Aber von weit größerer Bedeutung war
die Säkularfeier der Geburt Schillers am 10. Nov., die in allen
deutschen Gauen gefeiert wurde, in Sachsen aber vornehmlich in
Leipzig und Dresden Widerhall fand, wo ja der Dichter in den
Jahren 1785 und 1786 geweilt hatte. Das kleine schiefwinklige
Haus in Gohlis bei Leipzig, wo Schiller im Sommer 1785 das
„Lied an die Freude“ gedichtet hatte, und das bescheidene Körnersche
Landhaus im Loschwitzer Weinberg, wo „Don Carlos“ begonnen
worden war, waren das Ziel festlicher und begeisterter Aufzüge.
Beust hielt bei dieser Gelegenheit auf dem Festessen der Dresdener
Harmonie eine Rede, welche mit leiser Ablehnung der Bedeutung
des Tages als einer nationalen Feier Schiller als den guten
Genius des deutschen Volkes pries, weil er ihm die Wege zu
den Idealen gezeigt habe.