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tischen Schatten werfen. Mit Recht machte daher Friesen in
einem Schreiben vom 18. Sept. auf die Unzuträglichkeiten eines
längeren Aufenthaltes des Königs in Wien aufmerksam, nach-
dem er andererseits in einer Eingabe vom 13. Sept. vor einem
persönlichen Eingreifen des Königs dringend und durchaus treffend
gewarnt hatte. Am 26. Sept. verließ König Johann Wien und
begab sich über Regensburg nicht, wie anfangs geplant war,
nach Teplitz, sondern nach Prag, wo er am 27. Sept. eintraf und
Friesen mit den neuesten Nachrichten aus Berlin vorfand. Es
war nicht zu verwundern, daß dieser an dem Könige zwar die
gewohnte philosophische Ruhe und Gefaßtheit, aber doch auch eine
sehr ernste und trübe Stimmung bemerkte. Das Stilleben im
Bereiche des deutschen Bundes, wie es, nur wenig gestört durch
die europäischen Verhältnisse und durch die so rasch bezwungene
Bewegung von 1848/49, sich unter gegenseitiger Hochachtung und
bei großer Selbstbefriedigung hatte entwickeln können, war plötz-
lich durch die brutale Macht der Tatsachen glatt hinweggerissen,
und gebieterisch verlangte nicht nur der Sieger, sondern auch
das Wohl des Landes und die machtvoll aufstrahlende Sonne
deutscher Einheit ein bedingungsloses und selbstverleugnendes Ein-
gehen auf das neue Gesetz.
Es würde zu weit führen, die vielen Wirrsale eingehend
zu erzählen, die sich noch weiterhin dem definitiven Abschluß
des Friedens hindernd entgegenstellten. Jene Gereiztheit, Miß-
trauensseligkeit, ÜUberhastung gepart mit langsamer Pedanterie,
wie sie die Folgeerscheinungen großer Kräfteanspannungen zu sein
pflegen, machten sich auch hier trotz beiderseitigen guten Willens
bemerklich. Am 1. Okt. besuchte den König in Prag von Dresden
aus seine damals 72jährige älteste Schwester Amalia und ent-
warf ihm ein trübes Bild von den Leiden der Hauptstadt und
des Landes, dem ja die preußische Okkupation täglich 10000 Taler
kostete. Am 4. Okt. übersiedelte der König nach Karlsbad und
hier empfing er die am 13. Okt. von den Bevollmächtigten ver-
einbarten und am 14. Okt. von König Wilhelm genehmigten
Verträge. Aber die Gewissenhaftigkeit des Königs ließ ihn die
wichtige Entscheidung nicht allein treffen. Aus Wien rief er