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langen aller Klassen und Schichten des Volkes ohne Unterschied
der Parteirichtung geworden. Dasselbe beruht in den Bedürf-
nissen der Zeit und hat durch die gewaltige Umgestaltung, welche
das Jahr 1866 im deutschen Staatsleben hervorgerufen hat, neue
Nahrung und Berechtigung erhalten.“ — Es ist nicht nötig, die
einzelnen Phasen der Entwicklung des neuen Wahlgesetzes zu ver-
folgen, das am 3. Dez. 1868 zur Annahme gelangte; nur sein
Inhalt interessiert uns. Das Zweikammersystem wurde beibe-
halten. Für die erste Kammer waren die Anderungen nicht so
erheblichen Charakters, wie für die zweite. In Absatz 13 des
die Mitglieder der ersten Kammer aufzählenden § 63 kamen zu
den Vertretern der Rittergutsbesitzer auch die von „anderen
größeren ländlichen Gütern“; durch Absatz 17 erhielt die Krone
das Recht, nach freier Wahl fünf Mitglieder auf Lebenszeit ohne
Ansehung des Standes zu kreieren. Als Grundlage für die Wähl-
barkeit der Mitglieder, sei es durch ihre Standesgenossen, sei es
durch die Krone, wurde die eines Gutes von mindestens 4000
Steuereinheiten angenommen. — Die zweite Kammer dagegen
erfuhr eine ganz wesentliche Umgestaltung. Der ganze § 68 der
V. U. von 1831 wurde beseitigt, der die zweite Kammer sich
zusammensetzen ließ aus 20 Abgeordneten der Rittergutsbesitzer,
25 Abgeordneten der Städte, 25 Abgeordneten des Bauernstandes
und fünf (seit 1860:10) Vertretern des Handels. Von nun an
hieß der § 68: „Die zweite Kammer besteht aus 35 (seit 1892:37)
Abgeordneten der Städte und 45 Abgeordneten der ländlichen
Wahlkreise.“ Hierbei wurde die Unterscheidung von ländlichen
und städtischen Wahlkreisen nicht als eine Stände= und Interessen-
gliederung aufgefaßt, sondern entsprach nur dem tatsächlichen Be-
dürfnis und der Zweckmäßigkeit, denn namentlich durch Wegfall
des sog. Bezirkszwangs, d. h. daß der Wahlkandidat im Be-
zirke wohnhaft sein sollte, war schon im Prinzipe eine ständische
Vertretung ausgeschlossen. Durch § 1 des Wahlgesetzes wurde
vor allem das allgemeine Wahlrecht anerkannt. Es hatte danach
das aktive Wahlrecht jeder, der unbescholten, männlichen Ge-
schlechtes, im Besitz der sächsischen Staatsangehörigkeit war und
das 25. Lebensjahr erfüllt hatte. Das passive Wahlrecht hatte
Sturmhoefel, Ueschichte der sächsischen Lande. II. 29