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auch in einer sehr wichtigen Frage, als nämlich von der fort-
schrittlich-partikularistischen Partei unter Beifall der konservativ-
partikularistischen Kammermitglieder in der zweiten Kammer ein
Antrag auf Abrüstung eingebracht wurde, wozu selbstverständlich
der Kammer jede Kompetenz mangelte Trotzdem ging der An-
trag nicht nur in der zweiten Kammer am 10. Nov. 1869 durch
gegen etwa 20 Stimmen der Nationalliberalen, die hier also
nicht geschlossen stimmten, sondern auch in der ersten Kammer,
wo der friedliebende Antrag am 22. Jan. 1870 zur Vorlage
gelangte, erhielt er trotz der einleuchtenden Entgegnung des Kriegs-
ministers eine, wenn auch kleine Majorität von drei Stimmen;
von den 45 anwesenden Mitgliedern waren 24 dafür und 21
dagegen, unter den letzteren befanden sich selbstverständlich die
beiden königlichen Prinzen.
In diesem partikularistischen Geiste erklärten sich die Kam-
mern auch gegen das von der sächsischen Regierung selbst an-
geregte Bundesoberhandelsgericht. Trotz alledem erfolgte am
12. Juni 1869 die Publikation des Bundesgesetzes, das die Er-
richtung eines solchen höchsten Gerichtshofes in Handelssachen mit
dem Sitze zu Leipzig verfügte; die Wahl des Ortes entsprach
ebensosehr der Bedeutung der Stadt, als sie ein Kompliment
für die bundestreue Haltung der sächsischen Regierung war.
Schwerer fiel dieser freilich, wie schon berichtet wurde, die mit
der Aufgabe einer eigenen Strafgesetzgebung zugunsten des Bundes-
strafgesetzbuches verbundene Wiedereinführung der Todesstrafe
(Bundesgesetz vom 31. Mai 1870 und sächsische Verordnung vom
10. Dez. 1870). —
Abgesehen von der kriegerischen Periode von 1866 hatte sich
Sachsen seit dem Regierungsantritte des Königs Johann ruhig
in der Richtung weiterentwickelt, die der Staat schon unter seinem
Vorgänger eingeschlagen hatte. Namentlich galt dies von dem
Ausbau und der Weiterführung der Eisenbahnlinien. Die am
28. Juni 1855 eröffnete Bahn, die zunächst privatem Unter-
nehmungsgeiste ihr Dasein verdankte, zwischen Dresden und Tha-
randt, zu Ehren des Kronprinzen „Albertbahn“ genannt, wurde
im August 1862 angeschlossen an die vom Staate gebaute Linie