Full text: Illustrierte Geschichte der Sächsischen Lande und ihrer Herrscher. II. Band, 2. Abteilung. Das Albertinische Sachsen von 1815-1904. (4)

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versammelte, so war vorauszusehen, daß von diesem aus nach 
Erledigung der eigentlichen Aufgabe oder vielleicht auch schon 
vorher die Anregung zur Wiederaufrichtung des Kaisertums gehen 
und dann den Fürsten nur eine verspätete Zustimmung übrig 
bleiben werde. In dieser delikaten Lage kam man im nord— 
deutschen Bundesrate auf den Gedanken, daß König Johann als 
ältester der deutschen Fürsten die Initiative übernehmen solle, 
nachdem er sich mit Bayern vorher verständigt habe. Minister 
von Friesen berichtete am 26. Nov. in diesem Sinne nach Dresden. 
Das für Bayern, namentlich aber für einen Monarchen von der 
Gesinnung Ludwigs II. Verletzende, das dieser Schritt gehabt 
haben würde, wurde vermieden, indem König Johann in einem 
eigenhändigen Schreiben an König Ludwig diesem dringend an— 
empfahl, im Namen der deutschen Fürsten dem König Wilhelm 
die deutsche Kaiserkrone anzubieten. 
Es steht nicht zu bezweifeln, daß dieser Brief die gewünschte 
Wirkung auf König Ludwig ausgeübt hätte, wenn nicht durch 
einen anderen Faktor schon der Umschwung eingeleitet gewesen 
wäre. Mit den bayrischen Unterhändlern, Lutz und Graf Bray, 
befand sich damals in Versailles der dem König Ludwig als 
Oberstallmeister nahe stehende Graf Holnstein. Dieser übernahm 
in jenen kritischen Tagen, in denen die Kaiserfrage an Bayerns 
Stillschweigen und dem geringen Entgegenkommen des Königs 
Wilhelm zu scheitern drohte, auf Bitten Bismarcks die Sendung, 
seinem Herrn einen Brief des Kanzlers zu überbringen, in dem 
dieser dem König die Übertragung der Kaiserwürde durch die 
deutschen Fürsten an König Wilhelm plausibel machte, und dem 
er gleich den Entwurf zu dem für ein solches Anerbieten notwendi- 
gen Schreiben beilegte. Der Graf reiste am 27. Nov. von Verseailles 
ab und war am siebenten Tage nach seiner Abreise, am 3. Dez. 
mit dem vorausgesehenenen Schreiben König Ludwigs an König 
Wilhelm wieder in Versailles trotz der großen Schwierigkeiten, 
mit denen unter den damaligen Umständen eine solche Reise durch 
Frankreich nach Deutschland verbunden war. Jedenfalls konnte 
das Schreiben König Johanns den bayrischen König nur in 
seinem Entschlusse bestärken und umgehend teilte dieser seine Ent-
	        
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