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der Zwietracht eine Ernte für die Sozialdemokratie empor-
wucherte! — —
Für ein gerecht und billig abwägendes Urteil ist es unver-
kennbar, daß die zunehmende Machtstellung des Reiches nach außen,
namentlich als es noch einen Bismarck an der Spitze hatte, ferner
die Aufsaugung der besten wirtschaftlichen und intellektuellen Kräfte
im Innern, die Konzentration von Heeres-, Post= und Tele-
graphenverwaltung und bis zu einem gewissen Grade auch der
Rechtsprechung in den Händen des Reichs die Einzelstaaten für
einen einigermaßen selbständigen Kurs ihres Schiffleins gegen-
über diesem Magnetberg besorgt werden ließ, daß man jeder
Vermehrung der Reichsmacht, die von vielen ohne weiteres
als Vermehrung der preußischen Macht aufgefaßt wurde, eifer-
süchtig entgegenarbeitete. Diese ganz verständliche und natur-
gemäße Stimmung, zu der aber dann auch schwerwiegende wirt-
schaftliche Bedenken traten, muß man im Auge haben, um den
Eindruck der im November 1875 sich verbreitenden Nachricht zu
verstehen, daß Fürst Bismarck sich mit dem Projekte der Über-
nahme sämtlicher Eisenbahnen auf das Reich trage. Tatsäch-
lich schlug am 8. Jan. 1876 Bismarck dem preußischen Ministe-
rium die Abtretungen der preußischen Eisenbahnen an das Reich
vor und fand von dieser Seite williges Entgegenkommen.
Zunächst nahm für Sachsen eine Konferenz von Delegierten
der sächsischen Handels= und Gewerbekammern in Dresden zu der
Frage Stellung, indem sie sich am 5. Febr. 1876 zu einer Ein-
gabe an die Königliche Staatsregierung einigte, daß diese sich
beim Bundesrate gegen den Erwerb der deutschen Eisenbahnen
durch das Reich aussprechen solle. In der zweiten Kammer kam
die Sache am 3. März zur Sprache infolge des Antrags des kon-
servativen Abg. Eysoldt und 56 Genossen, also einer erdrückenden
Majorität, „an die Staatsregierung das Gesuch zu richten, einer
auf die Erwerbung der deutschen Eisenbahnen oder eines Teiles
derselben gerichteten Vorlage im Bundesrate ihre Zustimmung zu
versagen“. Der Minister des Innern, damals noch v. Friesen,
betonte daraufhin, daß der sächsischen Regierung irgend ein greif-
barer Vorschlag noch keineswegs gemacht, daß aber ihr ab-