Full text: Illustrierte Geschichte der Sächsischen Lande und ihrer Herrscher. II. Band, 2. Abteilung. Das Albertinische Sachsen von 1815-1904. (4)

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verordnete das Ministerium des Innern, daß die Bergbehörden 
vor Prüfung und Genehmigung der etwa abzuändernden Arbeiter- 
ordnungen den Vorstand derjenigen Knappschaftskrankenkasse zu 
hören hätten, deren Bezirk das Bergwerk bilde, für das die 
neue Ordnung Geltung bekommen solle. Das Landesgesetz vom 
5. März 1892 schuf ferner Bergschiedsgerichte, die bei Streitig- 
keiten zwischen dem Grubenbesitzer und den Belegschaften beide 
Parteien gleichermaßen abzuhören und demnach die Entscheidung 
zu treffen haben. Als eine Art Vorinstanz können die sog. Diszi- 
plinarräte angesehen werden, die sich aus dem jewelligen 
Betriebsleiter einer Grube und einem Arbeiterausschuß zusammen- 
setzen. Beide Einrichtungen haben sich in der Folgezeit bewährt 
und manche Zwistigkeiten durch gütliche Verhandlung beigelegt. 
Trotzdem also sowohl das Reich als die Einzelstaaten bemüht 
waren, die Lage der arbeitenden Bevölkerung nach Kräften zu 
bessern, nahm die sozialdemokratische Propaganda in Sachsen doch 
in auffallender Weise zu. Während 1871 bei der Reichstagswahl 
nur 15,8 Proz. sozialdemokratisch gestimmt hatten, waren 1874 
36 Proz. aller abgegebenen Stimmen sozialistisch und wurde 
Sachsen darin von keinem anderen Staate übertroffen. Nachdem 
auf dem sozialistischen Kongreß in Gotha, der vom 23.—26. Mai 
1875 tagte, die Lasalleaner sich mit den Vertretern der Bebel- 
Liebknechtschen Richtung zur „sozialistischen Arbeiterpartei Deutsch- 
lands“ vereinigt hatten, gewann die Partei an Festigkeit und Ein- 
fluß. Bei den Landtags-Ergänzungswahlen am 18. Sept. 1875 
erlangten die Sozialdemokraten trotz fieberhafter Anstrengung 
allerdings noch kein Mandat; aber bei der Ergänzungswahl vom 
19. Sept. 1877 wurde im 36. ländlichen Wahlbezirk (Amt Stoll- 
berg) Liebknecht gewählt, an dessen Stelle dann, da er nicht die 
gesetzlichen Erfordernisse hatte, der Leipziger Rechtsanwalt 
Freytag trat, allerdings kein Vertreter der strikten sozial- 
demokratischen Observanz. Er trat schon am 1. Dez. in der 
Kammer mit einem Antrag auf Einführung des allgemeinen, 
gleichen und geheimen Wahlrechts hervor, auf Abschaffung des 
Zensus, der dreißigjährigen Altersgrenze und der dreijährigen 
Staatsangehörigkeit, sah ihn aber prompt und einstimmig ab-
	        
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