Full text: Illustrierte Geschichte der Sächsischen Lande und ihrer Herrscher. II. Band, 2. Abteilung. Das Albertinische Sachsen von 1815-1904. (4)

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konnte sich die sozialdemokratische Agitation wieder frei und un— 
gehindert entfalten. Das bewies sich deutlich bei den Ergänzungs- 
wahlen zum Landtage am 13. Okt. 1891. Es kamen durch diese 
7 Sozialdemokraten in die zweite Kammer und stieg somit die 
Fraktion auf 11 Mitglieder. Die Zahl der bei der vorigen Wahl 
abgegebenen sozialdemokratischen Stimmen betrug 18280, wäh- 
rend bei der diesmaligen Wahl 35650 sozialdemokratische Stimmen, 
also beinahe die doppelte Anzahl, zur Abgabe gelangten. Bei der 
Ergänzungswahl vom 19. Okt. 1893 gewannen die Sozialdemo- 
kraten wiederum drei Sitze, und wenn auch bei der nächsten Wahl, 
am 17. Okt. 1895, an Stelle der fünf ausscheidenden Sozial- 
demokraten nur dieselbe Zahl wiederkehrte, so zeigte sich doch 
nirgends eine Abnahme der sozialistischen Stimmen, und die Partei 
zählte nunmehr 14 Mitglieder in der Kammer. Man begann all- 
gemein zu empfinden und zu fürchten, daß die Sozialdemokraten 
in absehbarer Zeit in der Kammer eine ausschlaggebende Fraktion 
bilden würden. 
Wie sehr sie sich erstarkt fühlte, zeigte der am 10. Dez. 1895 
zur Beratung gelangende Antrag des sozialistischen Abgeordneten 
Fräßdorf mit 13 Genossen, unter Aufhebung des Wahlgesetzes 
vom 3. Dez. 1868 das allgemeine gleiche und direkte Wahl- 
recht mit geheimer Abstimmung für alle Staatsangehörige vom 
21. Lebensjahre an einzuführen. Die Kammer faßte daraufhin, 
unter Erwägung, daß das verlangte Wahlrecht den Verhältnissen 
und Interessen des Landes nicht entspräche, daß ferner ein segens- 
reich wirkendes Wahlrecht sich nur auf das Verhältnis der 
Leistungen der einzelnen Staatsbürger stützen könne, und daß 
eine Entziehung des Wahlrechtes derjenigen, die dasselbe jetzt be- 
säßen, von niemand beabsichtigt werde, mit 63 gegen die 14 sozial- 
demokratischen Stimmen den Beschluß „über den Antrag Fräß- 
dorf zur Tagesordnung überzugehen“. Dahingegen stellte nun 
der bekannte konservative Abgeordnete Geh. Hofrat Dr. Mehnert 
im Namen seiner Parteigenossen folgende Grundsätze für ein neues 
Wahlgesetz im Sinne der Mehrheit der zweiten Kammer auf (die 
konservative Partei zählte damals 43 Mitglieder): 
1. An die Stelle des seitherigen direkten Wahlrechtes soll ein
	        
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