Full text: Illustrierte Geschichte der Sächsischen Lande und ihrer Herrscher. II. Band, 2. Abteilung. Das Albertinische Sachsen von 1815-1904. (4)

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sich über die Rede des Kaisers, die dieser am 6. Sept. in Oeyn- 
hausen gehalten hatte. Er hatte darin in deutlichen Worten 
gegenüber den immer rigoristischer werdenden Streikbewegungen 
den Arbeitswilligen seinen und den Schutz eines demnächst dem 
Reichstage vorzulegenden Gesetzes versprochen, das gegen Leute, 
welche Arbeitswillige an der Arbeit hinderten oder Streiks provo- 
zieren, sogar Zuchthaus bestimmen werde. Nur zu bald sollte sich 
die Notwendigkeit eines solchen wirklichen Arbeiterschutzgesetzes 
aus dem über Sachsens Grenzen hinaus Aufsehen erregenden 
Prozeß der Löbtauer Arbeiter ergeben. In Löbtau, einem durch 
seine sozialistisch gesinnte Bevölkerung bekannten Vororte Dresdens, 
hatten am 6. Juli 1898 Maurer und andere Bauleute, die soeben bei 
einem Richtfeste allzureichlich Spirituosen zu sich genommen hatten, 
versucht, in einen anderen Bau einzudringen, wo mit ÜUberstunden 
gearbeitet wurde, und die dortigen Arbeiter an ihrer Tätigkeit zu 
hindern. Darüber entstand eine Schlägerei und großer Krawall, 
bei dem die Polizei von der Waffe Gebrauch machen mußte, auch 
von der Gegenseite Revolver in Anwendung kamen und namentlich 
der Sohn eines Bauunternehmers schwer gemißhandelt wurde. 
Nun kamen Anfang Februar 1899 die des Landfriedensbruches, 
Widerstands gegen die Staatsgewalt usw. angeklagten Arbeiter 
vor das Dresdener Schwurgericht, und dies verurteilte, übrigens 
bei der Verhandlung die Offentlichkeit teilweise ausschließend, sieben 
Angeklagte zu 6—10 Jahren Zuchthaus, zwei zu 4 Jahren Ge- 
fängnis. Man konnte nicht leugnen, daß das Urteil die äußerste 
Grenze der Strenge berührte; aber angesichts der enormen bei der 
Verübung der geahndeten Delikte an den Tag gelegten Roheit 
und der planmäßigen Verhetzung und Aufruhrstiftung kann man 
noch heute jenen Denkzettel als wohlverdient bezeichnen. Freilich 
in der sozialdemokratischen Presse und den von sentimentaler 
Menschenrechtsdoktrin infizierten Blättern figurierten die Radau- 
brüder als Märtyrer der Freiheit und eine Sammlung innerhalb 
der sozialdemokratischen Partei für die „Hinterbliebenen“ ergab 
binnen kurzem die Summe von 40000 Mark, so daß jene Pioniere 
des Zukunftsstaates gar kein übles Geschäft gemacht hatten. Da 
solche Erfahrungen, wie der Löbtauer Fall, im Reiche keineswegs
	        
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