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ein Torso gebliebenen Geschichte der Literatur des Mittelalters
im Abendlande. Sein Nachfolger wurde 1890 Adolf Birch-
Hirschfeld.
Die Germanistik sah glänzende Tage unter Friedrich
Zarncke und Rudolf Hildebrand. Zarncke gehörte dem ordent-
lichen Lehrkörper der Universität schon seit 1858 an. Sein Rektorat
während des Kriegsjahres 1870/71 zeigte ihn neben dem akade-
mischen Lehrer auch als vorzüglichen Organisator. Auf seine
literarischen Leistungen einzugehen ist hier nicht der Ort. Nur einer
seiner Schöpfungen sei gedacht, des „Literarischen Zentralblattes“,
das heute schon den 58. Jahrgang zählt und für lange Zeit das
einzige Tribunal von weiterer Verbreitung für Besprechungen
aus dem Gebiete des gelehrten Schrifttums war. Als Mensch
und Lehrer wird Zarncke jedem unvergeßlich bleiben, der das
Glück hatte, ihm näher zu treten. Nach seinem Tode (gest. 1891)
trat Ed. Sievers an seine Stelle, auch er als bester Kenner
der deutschen Verskunst ein über Sachsens Grenzen hinaus be-
kannter Gelehrter. Rudolf Hildebrand, der nach längerem
Siechtum 1894 starb, war durch seine originelle Auffassung und
Lehrweise von großem Einfluß auf seine Zuhörer, denen er, soweit
sie sich dem Schulamte widmeten, reiche Gaben auf ihren zu-
künftigen Weg mitgab. In seiner Eigenart konnte er durch nie-
mand ersetzt werden. Als Vertreter der neueren deutschen Sprache
und Literatur wurde von Marburg 1898 Albert Köster berufen
und trat sein Lehramt am 1. April 1899 an.
Seit den Tagen Gottfried Hermanns hatte die klassische Philo-
logie in Leipzig keinen hervorragenderen Inhaber ihres Lehr-
stuhls gesehen als Friedr. Wilhelm Ritschl (geb. 1806). Er kam
1867 von Bonn nach Leipzig, und dort wie hier scharte er eine
große Zahl begeisterter Jünger um sich, die noch zu seinen Leb-
zeiten und späterhin in der akademischen Karriere sich einen Namen
machten. Einer von ihnen wurde nach Ritschls Tode (gest. 1876)
Otto Ribbeck, eine scharf kritisch angelegte Natur, nicht ohne manche
Ecken und Kanten, aber ein durchaus vornehm angelegter Charakter.
Neben seinen besonders dem Plautus, Virgil und den Resten der
dramatischen Poesie der Römer gewidmeten eigentlichen philo-