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Kanzlerkrisis verbreitete, war gerade in Sachsen eine starke Agi-
tation für Überreichung einer Adresse an Kaiser Friedrich für
Beibehaltung des bewährten Beraters im Gang; diese überall
ausgelegte Adresse bedeckte sich bald mit Tausenden von Namen.
Mit Rücksicht auf den Zustand des kaiserlichen Dulders, und weil
auch jenes Gerücht sich nicht bewahrheitete, wurde die Adresse
zurückgezogen. Um so befriedigter sah man dann, wie Kaiser Wil-
helm II. Bismarck gegenüber dieselbe Haltung einzunehmen schien,
wie sein Großvater. Daß dies leider nur Schein war, bewies die wie
ein Blitz aus heiterm Himmel einschlagende Entlassung des großen
Staatsmannes am 20. März 1890. Wenn dieses Ereignis von allen
patriotisch gesinnten Deutschen mit herbem Schmerze empfunden
wurde, so doch kaum irgendwo tiefer als in Sachsen. Das zeigte sich
in imposanter Weise namentlich in Leipzig und Dresden bei der
Geburtstagsfeier des Altreichskanzlers am 1. April 1890 und
bei denen der folgenden Jahre, um so mehr als die im be-
wußten und gewollten Gegensatze zu ihm sich bewegende Politik
Caprivis so klägliche Resultate zeitigte. Ganz besonders aber
äußerte sich die Liebe des sächsischen Volkes und sein Urteil über
den „neuen Kurs“, als der damals noch gewissermaßen in Acht
und Bann befindliche Recke von Friedrichsruh auf der Durchreise
nach Wien zur Hochzeit seines ältesten Sohnes am 18. Juni
1892 Dresden berührte. Schon auf allen Stationen vorher wurden
ihm großartige Ovationen dargebracht; in Dresden aber, wo er
über Nacht blieb, ehrte man ihn durch eine Serenade und einen
imposanten Fackelzug. Auch hier rühmte der Fürst in Beant-
wortung der Ansprache einer städtischen Abordnung den König
Albert, der mit Vorsicht und Besonnenheit, mit Tapferkeit und
Entschiedenheit einer der wesentlichsten Schmiede des Eisens ge-
wesen sei, das uns zusammenhielte. Als dann das Jahr 1893
die Aussöhnung zwischen dem Kaiser und seinem alten Kanzler
brachte, war man nirgends darüber mehr befriedigt, als in Sachsen,
wennschon damit die Vergangenheit nicht aus den Gedächtnissen
gewischt werden konnte. Zu besonderen Feiern gab das Jahr
1895 Veranlassung, als Fürst Bismarck sein 80. Lebensjahr voll-
endete. Unter den zahllosen Glückwünschen erfreute den Fürsten