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Wie schon angedeutet, hatte List in Sachsen den Anstoß zu
einer der wichtigsten Kulturtaten unseres Landes gegeben. Nach-
dem dieser merkwürdige Mann 1825 der politischen Verhältnisse
wegen nach Amerika ausgewandert war, entstanden ihm dort an-
gesichts der wirtschaftlichen Entwickelung durch den möglichsten
Abschluß vom Auslande seine schutzzöllnerischen Theorien, die er
durch ein eingehendes Studium der Verhältnisse vertiefte. Außer-
dem aber wandte er seine rege Aufmerksamkeit dem rasch auf-
blühenden Eisenbahnwesen zu. Die glückliche Entdeckung von
Kohlenflözen in dem von ihm zur Heimat gemachten Staate
Pennsylvanien machte ihn zu einem unabhängigen Manne, und
nun erwachte in ihm die Sehnsucht, seinem deutschen Vaterlande
wirtschaftlich aufzuhelfen. Als Konsul seines neuen Vaterlandes
für Hamburg kehrte er nach Deutschland zurück. Seine Eisen-
bahnpläne fanden aber in der Hansastadt ebensowenig Anklang,
wie bei dem erst für Eisenbahnen begeisterten König Ludwig I.
von Bayern. Da nahm er, angezogen von der zentralen Lage
der Stadt, 1833 seinen Aufenthalt in Leipzig. Es ist dabei ein
besonderes Verdienst der damaligen sächsischen Regierung, daß
sie diesem bedeutenden Manne für seine Niederlassung trotz der
von Wien und Stuttgart einlaufenden Warnungen keine Schwierig-
keiten bereitete. Sofort stattete List seinen Gastfreunden seinen
Dank in Gestalt eines Büchleins ab: „Über ein sächsisches Eisen-
bahnsystem als Grundlage eines allgemeinen deutschen Eisenbahn-
systems.“ Dies hat in der Hauptsache völlig richtig die großen
Linien erkannt, mit denen in Sachsen die Einigung des ganzen
Zollvereins vorbereitet werden müßte. Die Lage für solche Ent-
würfe war deshalb gerade in Leipzig günstig, weil der Anschluß
an den Zollverein vor der Tür stand und das Leipziger Kapital
sich nach Betätigung unter neuen Verhältnissen umsah. Vier
Mitglieder der Leipziger Kaufmannschaft, Wilhelm Seyfferth,
D. Dufour-Feronce, ein Abkömmling der wenigen in Leipzig
seinerzeit aufgenommenen Hugenotten, C. Lampe und Gustav
Harkort, der jüngere Bruder des in Westfalen hochangesehenen
Industriellen und Liberalen Friedrich Wilhelm Harkort, ließen
sich für den Gedanken einer Bahn von Leipzig nach Dresden