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doch, welch ein Verlust ihm bevorstand und lauschte ängstlich auf
die Nachrichten aus Sibyllenort. Leider konnte der Telegraph nichts
anderes melden, als ein langsames, hier und da durch ein hoff-
nungspendendes Aufflackern wieder unterbrochenes Abnehmen der
Kräfte. Und dabei blieb dem hohen Kranken doch das klare Be-
wußtsein seiner selbst und seiner Umgebung. Mit tiefster Rührung
las man die Kunde, wie er am 18. Juni, es war der 49. Jahres-
tag seiner Hochzeit, der Königin, seiner unermüdlichen und treuen
Pflegerin, eine von den schönsten Rosen, die er sich hatte geben
lassen, mit einem langen, stummen Blicke überreicht und damit
die tapfer geübte Selbstbeherrschung der hohen Frau in einen
Strom von Tränen aufgelöst hatte. Am selben Tage mußte er
die Regierung an den Bruder abgeben, nachdem er in den letzten
Tagen schon von Unterschriften sich nur noch die Gnadenakte hatte
vorlegen lassen, auch sie nur noch mit einem einfachen A unter-
zeichnend. Aber auch das Bewußtsein schwand und machte einem
traumbefangenen Dahindämmern Platz, bis am Abend des 19. Juni,
kurz nach 8 Uhr, König Albert im Beisein der ganzen königlichen
Familie sanft und ohne merklichen Kampf hinüberschlummerte.
Draußen gingen schwere Regenschauer nieder und der Sturm brach
eine hohe Pappel an einem Tore. — Die Obduktion ergab in der
Blase ein fingergroßes, mit Wucherungen besetztes, jedoch nicht
krebsartiges Geschwür, das in den letzten Jahren die Blutungen
verursacht hatte. Das Herz war verhältnismäßig wenig entartet,
aber schwach geworden durch habituelle Blutarmut.
König Albert war nicht mehr! Wie das deutsche Volk am
Morgen des 10. März 1888, als die Nachricht von dem Ableben
Kaiser Wilhelms I. sich verbreitete, von einem einzigen, großen
und ticfen Gefühle der Verwaisung ergriffen wurde, so das sächsische
Volk, als am 20. Juni das Abscheiden König Alberts bekannt
wurde. Vom Hoöchsten bis zum Niedrigsten empfand jeder den
Verlust eines Herrschers, dem man so gern die Jahre seines großen
Kaisers gewünscht hätte. Was hatte die Armee in ihm verloren,
dem letzten Feldmarschall aus dem großen Kriege selbst, dem Vater
seiner Soldaten; was der Beamtenstand, an dessen Hebung König
Albert so gern immer mitgewirkt hatte. Die Wissenschaft verlor