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damals als eine der größten Schwierigkeiten betrachtet wurde,
heute vom Reisenden kaum noch bemerkt wird. Im Juli 1838
befuhr man die Bahn von Leipzig bis Wurzen, von Dresden
bis Weintraube. Natürlich mußten das rollende Material und
die Schienen noch von England bezogen werden; die erste Loko-
motive hieß der „Komet“. Am 21. Nov. erreichte man bei Riesa
die Elbe. Nun galt es, den Bau der dortigen Elbbrücke, dann
den des Viaduktes von Niederau und vornehmlich die große
Durchtunnelung bei Oberau, an der man auch den Winter von
1838 auf 1839 arbeiten konnte. Hierzu waren Freiberger Berg-
leute herangezogen worden, die ihrer Aufgabe in der bei ihnen
gewohnten Technik gerecht wurden, indem sie von vier abgeteuften
Schachten aus den Tunnel als eine Art Stollen durch das Ge-
birge trieben. Als dann der erste Zug hindurchbrauste, standen
die wackeren Bergknappen im Paradeanzuge mit Fackeln zu beiden
Seiten des Gleises und begrüßten den fauchenden Boten einer
neuen Zeit mit einem herzlichen „Glückauf!“ Am 7. April 1839
erschien endlich der festliche Tag, an dem um 2 Uhr nachmittags
unter allgemeiner Teilnahme der erste Zug von Leipzig nach
Dresden abging. Trotz des ungünstigen Wetters waren Tausende
herbeigeeilt, um zu beiden Seiten der Bahn in langgestreckter
Reihe diesen Sieg des Geistes über die materielle Welt, über
Zeit und Raum zu bewundern und feiern zu helfen. Am nächsten
Tage um zwölf Uhr mittags kehrte der Zug von Dresden zurück
und brachte den König und die Königin mit, ein sehr empfehlendes
Zeichen des Vertrauens zu der neuen Einrichtung, die bei vielen
und nicht immer den dümmsten Leuten die kuriosesten Bedenken
erzeugt hatte. Die königlichen Herrschaften kehrten nach einge-
nommenem Frühstücke am Nachmittage wieder nach Dresden zurück.
Alsbald wollte nun jedermann mit der neuen Eisenbahn fahren.
Im ersten Jahre beförderte sie 412000 Personen und 385000
Meilen-Zenter.") Im zweiten Jahre fiel mit der nachlassenden
Neugierde der Personenverkehr etwas, dafür stieg aber der Güter-
*) 1906 wurden auf den gesamten sächsischen Staatsbahnen 81,3 Mill. Per-
sonen, im Durchschnitt täglich 222 835 Personen und täglich 1 709 036 Zentner
befördert.
Sturmhoefel, bUeschichte der sächsischen Lande. II. 5