Full text: Illustrierte Geschichte der Sächsischen Lande und ihrer Herrscher. II. Band, 2. Abteilung. Das Albertinische Sachsen von 1815-1904. (4)

— 790 — 
daß die Frau Kronprinzessin am 9. Dez. vormittags 11 Uhr 5 Mi- 
nuten nach Salzburg zum Besuche der Eltern abgereist sei. Aufmerk- 
samer jedoch wurde man, als am 17. Dez. die amtlichen Blätter 
von einer Erkrankung der Frau Kronprinzessin meldeten, die da- 
durch wohl auf längere Zeit an der Rückkehr an den Dresdener 
Hof gehindert sein würde. Gleichzeitig aber verbreitete sich ein 
ganz ungeheuerliches Gerücht, das niemand glauben wollte und 
doch schon von auswärtigen Zeitungen gebracht wurde. Am 22. Dez. 
wurde auch amtlich bekannt gegeben, daß „Ihre Kaiserliche und 
Königl. Hoheit die Frau Kronprinzessin in der Nacht vom 
11./12. dieses Monats in einem anscheinend krankhaften Zustand 
seelischer Erregung Salzburg plötzlich verlassen und sich unter 
Abbruch aller Beziehungen zu höchstihren hiesigen Angehörigen 
ins Ausland begeben habe.“ Erst am 28. Dez. wurde amtlich die 
unterdessen schon allgemein bekannt gewordene Tatsache zugegeben, 
daß die Kronprinzessin sich mit dem zum französischen Unterrichte 
ihrer Söhne auf Empfehlung eines belgischen Prälaten enga- 
gierten Brüsseler Sprachlehrer, André Giron, heimlich getroffen 
habe und nach der Schweiz abgereist sei. In Genf tauchten dann 
beide auf. Noch vor Abschluß des Jahres wurde am 30. Dez. 
amtlich bekannt gegeben, daß der Kronprinz auf Grund von §5 1575 
des Bürgerlichen Gesetzbuches und nach dem in §5 12 Abs. 2 des 
Nachtrags vom Königl. Hausgesetz vom 20. Aug. 1879 ange- 
ordneten Verfahren mit Erlaubnis des Königs auf Aufhebung 
der ehelichen Gemeinschaft geklagt habe. Jene Bestimmung des 
Hausgesetzes, die sich der Sache nach genau so schon in dem vom 
Könige Friedrich August II. erlassenen Hausgesetz vom 30. Dez. 
1837 § 77 Abs. 3 findet, lautet aber: „Zu Entscheidung von Ehe- 
irrungen wird der König in vorkommenden Fällen jedesmal ein 
besonderes Gericht niedersetzen und das Verfahren desselben be- 
stimmen.“ Der aus dem Bürgerlichen Gesetzbuche angezogene 
Paragraph 1575 lautet: „Der Ehegatte, der auf Scheidung zu 
klagen berechtigt ist, kann statt auf Scheidung auf Aufhebung der 
chelichen Gemeinschaft klagen.“ Eine Scheidungsklage aber an- 
zustrengen verbot dem Prinzen seine Kirche, welche die Ehe als 
Sakrament ansieht und ihr deshalb den Charakter der Unzerstör-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.