Full text: Illustrierte Geschichte der Sächsischen Lande und ihrer Herrscher. II. Band, 2. Abteilung. Das Albertinische Sachsen von 1815-1904. (4)

— 80 — 
schen Regierung eingezogenen Pfarrers Ludwig Weidig zu Butz- 
bach, der in fast vierjähriger Haft von seinem Untersuchungs- 
richter Georgi, einem brutalen, am Delirium leidenden Menschen, 
so in Verzweiflung gebracht wurde, daß er sich im Gefängnis 
am 23. Febr. 1837 mit Glasscherben die Adern aufschnitt. Der Schrei 
der Entrüstung, der damals durch die deutschen Lande ging, fand auch 
in Sachsen Widerhall und veranlaßte den Abgeordneten von 
Dieskau 1837 zur Einbringung eines Antrags, daß die Regie- 
rung die Offentlichkeit und Mündlichkeit des Straf- 
verfahrens wenigstens in Erwägung ziehen möge. Der An- 
trag erhielt zwar nur zwei Stimmen Majorität, wurde aber 
durch Petitionen aus allen Teilen des Landes unterstützt. Gleich- 
wohl ging die Regierung nicht auf diese Wünsche ein. Diesem 
Geiste entsprach auch die durch die Kriminalgesetzreform des Jahres 
1838 notwendig gewordene Reform des Strafprozesses, für welche 
die Regierung dem Landtage von 1842/43 einen Entwurf vor- 
legte; von Einführung der Offentlichkeit und Mündlichkeit war 
darin keine Rede. Und doch kam es schon in der ersten Kammer 
über diese Frage zu hitzigen Debatten; hier fürchteten nämlich 
viele Leute sich vor der Offentlichkeit und Mündlichkeit, weil das 
nur einen Übergang zu den Schwurgerichten bedeute. Schließ- 
lich ging die Regierungsvorlage durch, aber nur mit drei Stim- 
men Majorität. Daraus kann man auf den Gang der Verhand- 
lungen in der zweiten Kammer schließen. Trotzdem der Justiz- 
minister von Könneritz anfänglich erklärt hatte, daß er in dieser 
Frage selbst dem vereinten Willen der Kammern nicht weichen 
werde, mußte die Regierung schließlich doch den Entwurf mit 
der Erklärung zurückziehen, „sie werde in Erwägung ziehen, ob 
und inwiefern, ohne dem Hauptprinzip des bisherigen Verfahrens 
Eintrag zu tun, eine unmittelbare Gestellung des Angeschuldigten 
und der Zeugen vor dem erkennenden Gerichte — also kurz ge- 
sagt: Mündlichkeit des Verfahrens — einzuführen sei“. — Da 
aber regierungsseitig zur Erledigung dieser Frage gar nichts er- 
folgte, so interpellierte gleich im Anfange des Landtags von 
1845/47 der Abgeordnete Klinger-Dippoldiswalde die Regierung 
hierüber, und nun erhielt die Kammer von dem Minister von
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.