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furchterregender eine solche Geschichte ist, um so größer ist der Er-
folg, um so interessanter wird sie. Hier in den Rockenstuben und
ihren Nachfolgern sind die mannigfachsten Formen des Aberglaubens
entstanden und verbreitet worden; hier wurden die Keime von vielen
eigenthümlichen Anschauungen, von Schreckhaftigkeit und Furcht, von
Gespenster= und Geistersehen gelegt! Wie vieler Bläödsinn ist da
zu Tage gefördert und von aufmerksamen Zuhörern als tiefe
Weisheit ausgenommen worden! Geheimnißvolle Eröffnungen und
Erzählungen mit ihren Verwickelungen; dazu die gespannten Zuhörer,
die blakende Lampe, der Gluthen ausströmende Ofen, und draußen
der heulende Sturm, die dunkle Nacht, der wirbelnde Schnee — —
Das alles trägt dazu bei, selbst dem blühendsten Unsinn andächtige
Zuhörer zu verschaffen.
Die Winterlandschaft des Gebirges hat ihren eigenthümlichen,
hohen Reiz. Der Wald mit seiner Schneebedeckung, aus welcher nur
verstohlen etwas winterliches Grün hervorblickt, Berg und Thal mit
ihren sanfter erscheinenden Formen, die geglätteten Wege, die beeisten
Bäche, die winterliche Färbung, die dicke neblige Luft und der matte
Schein der Sonne erzeugen ein kostbares Bild. Schellen= und Glocken-
geläute zahlreicher Schlitten belebt dasselbe. Schlittenfahren
ist nicht blos von ältester Zeit her ein beliebtes Wintervergnügen,
sondern der Schlittenverkehr ist für den Wald und das Obergebirge
vor Allem eine wesentliche Erleichterung aller Verbindungen gewesen.
Während die Kinder mit Schneeballwerfen und Schneemännerbauen,
sowie mit dem Fahren auf der „Käsehütsche“ sich vergnügen, und
die Erwachsenen beim Schlittenfahren Besuche austauschen und Be-
lustigungen aufsuchen, beruht ein großer, wo nicht der größte Theil
des erzgebirgischen Verkehrs auf den Schlittenkufen in der langen,
stätig aushaltenden und sicher gemessenen Zeit, wo der Schnee die
Unebenheiten von Straße und Weg ausgleicht und alle Verbindungen
wesentlich erleichtert.
Von der Vogelliebhaberei im Erzgebirge schreibt Lehrer
Schlegel in der „Gesiederten Welt““ ... „Des Erzgebirgers tief
inniges Gemüth und seine Neigung für Gesang und Musik läßt die
weit ausgebreitete Liebhaberei für die gefiederten Sänger erklärlich
erscheinen. ... Man mag dieses bescheidene Fleckchen deutscher Erde
nach jeder Richtung hin durchwandern, so wird man selten ein Häuschen
antreffen, in dem nicht wenigstens ein Singvogel zu finden wäre
Hier findet man ein inniges, liebevolles Verhältniß zwischen Mensch
und Vogel .. Wenn bei der Anspruchslosigkeit der ärmeren Be-
wohner des Erzgebirges oft zwei, nicht selten drei Familien im engen
Stübchen friedlich bei einander wohnen, so hat man doch immer noch
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